: Die Enteignung einer Milz
Ein Gen des Kaliforniers John Moore wurde ohne sein Wissen patentiert / Die EU streitet über Urheberrechte an Lebewesen ■ Aus Brüssel Alois Berger
Der Kalifornier John Moore weiß, daß er ein besonderes Gen hat, das für die medizinische Forschung sehr nützlich sein könnte. Er würde es auch gerne zur Verfügung stellen – aber er darf nicht. Dieses Gen in seinem Körper gehört ihm nicht mehr. Sein Arzt, Dr. David W. Golde, hat John Moores Zell-Linie ohne sein Wissen patentieren lassen. Pharma-Hersteller haben bisher Lizenzgebühren in Höhe von 2,8 Millionen Dollar an Dr. Golde gezahlt, damit sie Moores Gen im Labor vervielfältigen und in verschiedenen Medikamenten, darunter auch Interferon, nutzen können.
John Moore erzählt das ohne emotionalen Aufwand. Als er vor zehn Jahren von dem Patent erfahren habe, sei er tief geschockt gewesen, sagt er. Aber zehn Jahre Umgang mit Patentanwälten haben ihn abgebrüht. Das oberste Gericht von Kalifornien hat den Urheberschutz bestätigt und dem Doktor das Recht zur Vermarktung eingeräumt. Es gelte schließlich nicht für eine körpereigene Zelle, sondern für eine Zell-Linie, die außerhalb von John Moore angelegt worden war, heißt es zur Begründung.
Moore war Ende der 70er Jahre an einem seltenen Krebs erkrankt, wurde aber wieder gesund, nachdem ihm die betroffene Milz herausgenommen worden war. Erst Jahre später erfuhr er, daß Dr. Golde in seiner Milz einen ungewöhnlichen Abwehrstoff gefunden und damit im Labor eine Kultur, eine sogenannte Zell-Linie, angelegt hatte.
Dieser Stoff ist mittlerweile viel Geld wert, vor allem deshalb, weil die auf Lizenzbasis arbeitenden Pharmafirmen wegen der Patentierung keine Konkurrenz zu fürchten haben. Experten schätzen den finanziellen Nutzen für die Medizinbranche auf drei Milliarden Dollar.
Zur Zeit reist John Moore durch Europa. Die Grünen im Europäischen Parlament haben ihn eingeladen, um auf die Auswüchse der Patentierung von lebenden Zellen hinzuweisen. Die Europäische Union plant zur Zeit eine Richtlinie zur Patentierung, nach der Fälle wie die von John Moore auch in Europa zum Regelfall werden können.
Bisher ist die Rechtspraxis von Land zu Land unterschiedlich. Weil das Problem der Patentierung von Lebewesen und lebenden Zellen noch sehr jung ist, gibt es in den meisten Ländern bisher noch überhaupt keine Regeln. Das europäische Patentamt akzeptiert schon seit einiger Zeit Patente auf menschliche Zellen und Gene. Die schwedische Firma Kai Pharmacia AB hat beispielsweise die Lizenz für Forschung und Vermarktung von leicht veränderten Proteinen von 33 Menschen, die beim Chemieunfall in Seveso zu Schaden kamen.
Niemand bestreitet, daß ein europäisches Gesetz notwendig ist. Aber der Entwurf, den die Mehrheit der zwölf EU-Regierungen im Ministerrat favorisiert, würde die bisher überwiegende Praxis zementieren, nach der jede Art von Patentierung erlaubt ist. Doch die Mehrheit für den Vorschlag ist dünn. Dänemark lehnt aus ethischen Gründen jede Patentierung von Lebewesen ab, Spanien und Italien fordern zumindest Einschränkungen, und auch Luxemburg hat die Richtlinie in den bisherigen Verhandlungen abgelehnt.
Weil auch das europäische Parlament eine Reihe von Änderungen verlangt hat, ist inzwischen der Vermittlungsausschuß mit dem Gesetzesvorschlag befaßt. Selbst der deutsche Ärztebund ist gegen den Entwurf, weil die EU-Richtlinie auch die Patentierbarkeit von Diagnoseverfahren und Therapien vorsieht.
Eine solche Vorgabe würde bedeuten, daß für bestimmte Operationen Lizenzgebühren an den sogenannten Erfinder bezahlt werden müßten. Das Ergebnis wäre eine Zwei-Klassen-Medizin. Wer kein Geld hat, wird nach der veralteten Methode operiert. Und dabei werden die meisten Behandlungswege in Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen entwickelt, die vom Staat finanziert werden.
Der Nutzen von Patenten im Bereich der medizinischen Forschung ist umstritten. Pharmabetriebe sagen, daß Unternehmen nur dann in teure Forschung investieren, wenn sie sicher sind, daß die Ergebnisse nicht von der Konkurrenz ausgebeutet werden können. John Moore hat ein einfaches Gegenargument.
In seinem Fall hätten sich sofort eine Reihe von Universitäten und Forschungsinstituten für die Zell- Linie interessiert. Aber erst konnten sie nicht damit forschen, weil Dr. Golde sie fünf Jahre lang unter Verschluß gehalten hat, bis der Patentstreit geklärt war. Und jetzt dürfen sie nicht forschen.
Nur in den wenigen Unternehmen, die das Patent haben, wird an der Entwicklung von medizinischen Produkten aus Moores Milzzellen gearbeitet. Die Zukunft der Medizin scheint auf der Schmalspur zu liegen.
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