Kreuzweg der Kreditkartensekte

■ Der Geldautomat als religiöse Notrufsäule: eine Ausstellung

„Bei uns kommt das Geld aus dem Automaten“, heißt eine soeben eröffnete Ausstellung von DGB und Angestelltenkammer. „Der Titel ist kein Hinweis auf eine neue Finanzierungsquelle,“ versichert Kammer-Pressesprecher Peter Beier, und kommt damit Gerüchten zuvor, die von der DAG eingeleitete Existenzkrise der Angestelltenkammer sei überwunden. Der Titel der Ausstellung ist vielmehr Höherem als dem eigenen Ruin gewidmet: Es geht um den allgemeinen Umgang mit Geld. Karikaturen, Fotos, Texte und Kinderzeichnungen folgen den Spuren des goldenen Kalbes, und setzen dabei so einige Assoziationen in Gang.

Zweifellos wäre manch armer Schlucker vom Verschlucktwerden verschont geblieben, müßte er noch säckeweise Kaurimuscheln zur Begleichung seiner Außenstände herbeischleppen. Doch heute kommt das Geld aus dem Automaten wie Strom aus der Steckdose. Jedenfalls so lange, bis nichts mehr kommt, und dann war meist schon vorher nichts mehr da. Duch dieses Vakuum ensteht eine Art Sog, der Schuld und Mensch mit Haut und Haaren in die Tiefe reißt. Der Homo Sapiens, Beherrscher der Natur, wird von seiner eigenen Kreatur, einem Automaten vernichtet.

Dieses teuflische Werk bedarf der Inszenierung: Wer sich die Architektur der Räume betrachtet, die den Zugang zum Geld bahnen, wird schnell „die Parallelen zu sakralen Räumen entdecken.“ Schließlich, betont Beier, gehören diese Räume zu den wenigen der Stadt, die auch nachts beleuchtet sind. „Die Rettung in der Not ist nicht mehr die flackernde Kerze vor einem Marienaltar, sondern der helle Glanz des 24-Stunden-Service.“

Statt des Kreuzes lockt ein anderes Symbol an den Wegen: Das ec-Zeichen. Kaum vorstellbar, daß ihm 1981 nur 22 Menschen folgten. Heute stehen vor dem einfachen Code (ec) schon 9 Millionen Menschen Schlange, warten in Ungeduld, spielen souverän. Nein, sie müssen sich um ihren Kontostand keine Sorgen machen, oder etwa doch? Klar, der Automat ist kaputt, oder sollte etwa die Überweisung noch nicht eingetroffen sein? Da steht es, digital verschlüsselt und doch für alle verständlich: Du bist ein Versager.

Obwohl, wie Beier feststellt, sich ungezählte „Katastrophenängste, Hoffnungen und Erwartungen rund um dieses Zeichen bilden“, folgen immer mehr Menschen dem Zeichen der Zeit. Der Geldautomat wurde zum leuchtenden Wegweiser im Dschungel des Alltags, gerecht und unbestechlich zumal, denn wie vorm WC sind auch vor dem ec alle Menschen gleich. Ecce Homo, Elke Mustermann! Dora Hartmann

Bis zum 23.11. im Foyer der Angestelltenkammer, Bürgerstr. 1