Die Geschichte der Mißverständnisse

■ Alexander von Schlippenbachs und Sven-Ake Johanssons Free-Jazz-Operette über die „Ursache der Meinungsverschiedenheiten beim Turmbau zu Babel“

Die Bühne des Hebbel- Theaters bietet derzeit einen vertrauten Anblick. Zu sehen sind ein graffitibesprühter Bauwagen, eine Betonmischmaschine und andere Gerätschaften vor der dunklen Silhouette eines einsamen Hauses.

Wird das Hebbel-Theater schon wieder umgebaut? Weit gefehlt! Der ganze Krempel ist keine Notwendigkeit, sondern Kunst, genauer: das Bühnenbild eines Musikdramas von Sven-Ake Johansson und Alexander von Schlippenbach. „ ... über Ursache und Wirkung der Meinungsverschiedenheiten beim Turmbau zu Babel ...“ lautet etwas langatmig der Titel, der aber auch fast das ganze Programm verrät. In dem Musikdrama geht es um das alltägliche Babylon, um den Irrsinn von dauerndem Umbau, Neubau, Ausbau.

Aber es geht auch symbolisch um Babel, um die bekannte Geschichte der Mißverständnisse und Unstimmigkeiten, und um die interessante Frage, was das ist, woran die Menschheit immerzu baut. Unter einem azurblauen Himmel, wie man ihn hier selten zu sehen bekommt, werkeln seltsame Menschen. Nur der Typ im Blaumann gehört da richtig ins Bild. Eine Tänzerin (Regina Baumgart) mit Leggins in Bauarbeiterorange zieht ihre Kreise. Im Bauwagen selbst wohnt eine vornehme Dame, die manchmal merkwürdig gurgelnd und spitze Schreie ausstoßend herausgestürzt kommt. Ein Vertreter preist seine wurmstichigen Bretter an, und auf dem Gerüst sitzt hoch oben eine Harfenistin und spielt mit einem Cello im Duett, wie einst die singende Säge in „Delicatessen“. Nur der Baumeister erscheint nicht, und da ist es dann wieder wie im richtigen Leben. Einbezogen in diese absurde Handlung ist die Musik. Der schwedische Schlagzeuger Johansson ist Kenner der Baumaterie und ihrer musikalischen Verwendung. Schließlich hieß sein erstes Bühnenstück 1983 „Die Harke und der Spaten“ und handelte vom Liebesleben der Gartengeräte, „vom Einkauf bis zur Verschrottung“. Jetzt tritt an die Stelle des Gartenbaus die große Baustelle und erfüllt den Theaterraum mit Lärm und Geräusch. Das ganze Inventar wird ins Geschehen integriert und zum Musikmachen benutzt, zusammen mit Harfe und Cello, Schlagzeug, Klavier und Saxophon, aber auch experimenteller Stimme und Sprechgesang (Shelley Hirsch). Die Musik wird, analog zum Thema, zu einem vielschichtigen Gemisch. „Auf dem persischen Markt“ spielt eine Szene, und wie das Stimmengewirr dort verschlingen sich Klänge und Traditionen aus Ost und West, aus Free-Jazz und europäischer Moderne, populärer und experimenteller Musik. Dabei ist der Anteil der improvisierten Musik so hoch, daß alle drei Aufführungen an diesem Wochenende unterschiedlich sein werden.

Schlippenbach, der mit dem „Globe Unity Orchestra“ seit langem bekannt ist für Improvisationen im großen Stil, hat einige Passagen auskomponiert, andere nur strukturell bestimmt. Festgelegt ist nur die zeitliche Aufeinanderfolge der musikalischen Ereignisse, gekoppelt mit der Choreographie. „Unsere Produktion soll überprüfen, ob vielleicht gerade die alte Räumlichkeit des Theaters optimal geeignet ist, die Verschiedenheit der Meinungen und ihre gleichzeitige Verlautbarung zur Geltung zu bringen“, sagt Fritz Rahmann, der Maler und Regisseur. Das klingt etwas akademisch und sperrig, ist es aber nicht. Auf der chaotisch durch den Zufall inspirierten Guckkastenbühne (Claudia Doderer) wirkt das wirre Nebeneinander der verschiedenen Ereignisse wie alltäglich bekannte Komik. Eine „Free-Jazz-Operette“ nennt Schlippenbach das Machwerk ironisch und fügt hinzu: „Es darf auch gelacht werden.“ Christine Hohmeyer

Fr. bis So, 20 Uhr, im Hebbel-Theater, Stresemannstraße.