Weihnachtsgeschenke auf Zeit

Für nur 50 Pfennig verleihen Artotheken zeitgenössische Kunstwerke / Zum perfekten Geschenk gehören Transport und kleine Vernissage dazu  ■ Von Anja Dilk

Jedes Jahr dasselbe Theater. Weihnachten und der ewige Geschenkerausch. Mal ehrlich: Sind sie nicht langweilig, diese endlosen CDs, die soundsovielten Teedosen und Kerzenständer, die sich nach Jahren im Regal stapeln? Wie wär's mit einem Geschenkegutschein der anderen Art:

ein Gemälde, eine Skulptur oder eine Graphik – geliehen aus der Artothek. Gegen die Tristesse des Postereinerleis an der heimischen Wohnzimmerwand ein Original auf Zeit. Anfahrt, Auswahl, Transport und Vernissage mit knallenden Sektkorken inclusive, versteht sich.

Chausseestraße im Bezirk Mitte. Ein weiß getünchtes, modernes Gebäude zwischen Baustelle und Trambahn. Im ersten Stock sind die Wände gepflastert mit farbigen Ölbildern, Graphiken, stählernen Skulpturen. An silbernen Drähten hängend, schaut die weißgerahmte, armlose Dame mit den hochgeschnürten Brüsten und den Engelsflügeln dem Betrachter entgegen. Auf dem Boden die Schwarzweiß-Fotografie eines alten Kriegsbombers, der aufgeklebte Margret-Astor-Lippenstifte aus seinem Bauch fallen läßt. Ob abstrakte Arbeiten oder Gegenständliches, Bilder oder Plastiken – die Auswahl ist enorm.

Seit 1970 bietet die Artothek des Neuen Berliner Kunstvereins Bilder zum Verleih an. Allesamt Originale von jungen Künstlern, oft aus Berlin. Zeitgenössische Kunst der Moderne von der deutschen und internationalen Szene seit den sechziger Jahren, einige Werke aus den vierziger und fünfziger Jahren von Le Corbusier bis Hannah Höch, und sogar Einzelstücke aus früherer Zeit von Liebermann über Otto Dix bis Max Beckmann sind dabei. Was mit 208 Werken von 119 Künstlern vor mehr als zwanzig Jahren begann, ist inzwischen auf 3.000 Stücke angewachsen.

Drei- bis viermal pro Jahr kauft die Artothek Kunstgegenstände für 80.000 Mark an. Das Geld stammt aus Überschüssen der Staatlichen Klassenlotterie. Jeder Künstler kann sich mit drei Bildern bewerben. Eine vierzehnköpfige Gutachterkommission aus Kunstgeschichtlern, Museumsleuten, Kunstkritikern und Vereinsmitgliedern entscheidet, welche Werke genommen werden. Die künstlerische Qualität spielt natürlich eine wichtige Rolle. Da die Gegenstände schließlich in den Verleih gehen, wird auch auf ein nicht zu großes Format, erträgliches Gewicht und möglichst unempfindliches Material geachtet.

Zwei Drittel der Sammlung sind stets ausgeliehen. „Etwa dreißig Leute kommen täglich, um sich ein Bild auszuleihen“, sagt Heide Bayat, Artothekin im Neuen Berliner Kunstverein. Kostenpunkt: Fünfzig Pfennig Versicherung pro Monat und Ausleihgegenstand. Drei Bilder oder Plastiken darf sich jeder Benutzer auf einmal ausleihen. Die Ausleihfrist von drei Monaten kann einmal verlängert werden. 7.100 Kunden sind in der Kartei der Artothek verzeichnet. 1.300 davon, schätzt Heide Bayat, leihen regelmäßig aus.

Der junge Mann in graublauer Windjacke beispielsweise gehört schon seit zehn Jahren zu den Stammkunden der Artothek. Die Bilder sorgen für Inspiration beim eigenen künstlerischen Schaffen und für neuen Wind in seiner Wohnung. Passend zu Einrichtung und Funktion des jeweiligen Zimmers sucht er sich die Werke aus. Eine chaotische Radierung für das nüchterne Büro, etwas Farbenfrohes für die Eßecke.

„Nach einem halben Jahr möchte man die Bilder meist wieder loswerden. Dann muß was Neues her“, resümiert der junge Mann und zieht mit drei kartonumhüllten Bildern ab. Kaufen kann man die Kunst der Artothek nicht. „Aber wenn ein Kunde ein ähnliches Werk kaufen möchte“, meint Heide Bayat, „geben wir gerne Adressen der Künstler weiter.“

Probleme mit Diebstahl und Beschädigungen der Werke sind selten. In den ersten zehn Jahren der Artothek gingen nur siebzehn Werke verloren, zum Teil durch Wohnungsbrand oder Glasbruch. Am häufigsten werden Bilder beschädigt, wenn sie zur Rückgabe wieder von der Wand genommen werden, runterfallen und das zersplitternde Glas die Oberfläche beschädigt. Schwierigkeiten für den Benutzer entstehen daraus kaum. Schließlich sind sie durch die Versicherung abgedeckt.

Sigrun Paulsen hat im vergangenen Jahr zum ersten Mal ein Bild an die Arthotek verkauft, das nun im Verleih ist. Die Berliner Malerin findet es besser, wenn ihre Bilder bei ganz normalen Leuten die Runde machen, als daß sie bei wohlhabenden Käufern im Treppenhaus verschwinden. „Die Vorstellung, daß ich dann sozusagen bei anderen Leuten wohne, und die Frage, ob die mich aushalten, finde ich spannend“, meint Sigrun Paulsen. „Auerdem entdeckt man immer etwas Neues an einem Bild, wenn man mit ihm wohnt und es nicht nur flüchtig in der aseptischen Atmosphäre einer Galerie anschaut.“

Anfang nächsten Jahres wird die Artothek eine Ausstellung eröffnen, in der sie einen Querschnitt ihrer Sammlung präsentiert.

Bei folgenden Einrichtungen können Bilder und/oder Plastiken entliehen werden:

Arthothek des Neuen Berliner Kunstvereins, Chausseestraße 128/29, 10115 Berlin, Telefon: 280 70 22.

Graphothek im Tegel-Center, Buddestraße 21, 13507 Berlin, Telefon: 417 780 18.

Graphothek Treptow, Telefon 635 23 01.

Kulturforum Villa Oppenheim, Schloßstraße 55, 14059 Berlin, Telefon: 343 025 61.