Großes Theater

■ „Angefahrene Schulkinder“ in der Uni

Disco-Musik und Variationen sattbekannter Stücke: „Wir wollen keine Atheistenschweine / Da steht ein Gott auf dem Flur“, beginnen die Angefahrenen Schulkinder (AS) ihre Version des kirchlichen Gesangbuchs. Darauf spielt der Gitarrist das „Stairway to Heaven“-Riff an. Eine Sponti-Zeile rückt den Rest zurecht: „Wir ziehen dem Heiland die Eisennägel raus“, dröhnt es über der Melodie von „Yellow Submarine“. Die Montage enthält nicht nur Punk-, Schunkellied-, Pop- und Rockversatzstücke. Regisseur Christoph Schlingensief hätte sich des Themas kaum anders angenommen, Werner Schwab hätte vielleicht Ähnliches in eines seiner Stücke reingeholzt. Auf dem Grund dieser Darbietung der AS hockt die große Bedrohung.

Das Osnabrücker Quartett leitet jeweils mit langen, lustigen Ansagen zum nächsten Stück über: So hat „Chris Krüger“, ziemlich berühmt, bisher einmal aufgetreten und angeblich reich, für seine Einlage aus Kostengründen heute doch keine Band engagiert sondern seine Kollegen aus der Fahrradfabrik zum Mitmachen gebeten. Als „Chris Krüger“ schließlich vor dem Mikrophon hüftschwingt, erleidet er auf offener Bühne eine Art Peinkrampf. Wer versucht, die erniedrigenden Verausgabungen der Teilnehmer aus der „100.000 Mark“-Show und die Beiträge der „Samstag Nacht“-Komiker zusammenzufassen, begreift Chris Krüger. Ein Mann, bei dem sich Nervosität, die Lust zu lachen und der Antrieb zu schreien gleichzeitig steigern. Krüger macht mit einem unbeschreiblichen Gesang klar, daß es Situationen gibt, in denen gelebtes Leben wie ein abgerissenesStück Fleisch an uns vorüberfliegt. Großes Theater. Nur die Körperschütteleien, die Headbanger und Rock–n–Roller karikieren sollten, kommen beim Auftritt der Komponisten von „Tötet Onkel Dittmeyer“ und „I wanna– make love to Steffi Graf“ etwas dröge. Mehr als dröge nimmt sich jedoch das prustige, immer hastig eingeworfene „Lachen des Bescheidwissens“ der Studenten im Pädagogischen Institut aus. Menschen für sittlich Arme. Die AS sehen ansonsten ein bißchen aus wie Frank Zappas Mothers of Invention 1968, aber sie sind lebendiger als das variierte, knackalte Vorurteil behauptet: „Kabarett ist nicht tot, es riecht nur etwas komisch.“

Kristof Schreuf