Ich glotz UV

■ Der moderne Freizeitmensch grillt sich auf den Sonnenbänken von Südsee bis Wanne-Eickel. Ob nur fischstäbchengold oder tiefenbraun – verkohlt werden sie alle.

Sommer, Sonne, Sonnenbrand. Alle Warnungen des Bundesgesundheitsamtes, der Strahlenschutzkommission und führender HautärztInnen scheinen ins Ozonloch gesprochen. Unbeeindruckt davon zeigen alle Urlaubsfahrenden, was in Wahr- und Freiheit in ihnen steckt: ein echtes Grillhühnchen.

Ausgestattet mit den diversesten Pökeltuben aus der Apotheke starten sie in die Wonne der Pauschalsonne. Noch wirken sie daselbst wie der personifizierte, leibhaftige Lichtschutzfaktor 14. Aus grauem Himmel steigen sie auf – graue Menschen, die meisten schlecht drauf. Mit bläßlicher Bürofarbe, die fast konstant kurz vor der Albinomarke steht. Pergamentbeige, als wären sie todkrank.

Ein bischen Fröhlichkeit der sonnigen Länder wollen sie tanken, sie mit jeder Hautzelle aufnehmen. Wollen sich erholen – und, stimmt es etwa nicht, daß braune Menschen irgendwie gesünder scheinen? Na also! Lästiger Speck liegt im Dämmerlicht seiner selbst, fällt also kaum auf. Krampfadern und Orangenhaut genausowenig. Alles schön braun und straffer Schein.

„Mann siehst du gut aus!“ Es gibt nur wenige, die diesen Spruch nicht nur zur Sommerzeit hören. Die meisten erhalten dies Löbchen mit saisonal bedingter Einschränkung. Na dann wenigstens diese zwei mal zwei Wochen im Jahr, wenn's auch Mühe kostet. Die märchenhafte Metamorphose von Schneewittchen zu Rosenrot zum braunen Bomber hat ihren Preis. Heute ist die Innenseite der Unterarme dran. In der Mittagshitze von Agadir verrenkst du deinen Körper. Dein Strandnachbar wälzt seine schwitzende Fleischhülle auf einer Luftmatratze hin und her, die duchsichtig und von unten mit einer Aluschicht bezogen ist. Das verstärkt den Sonnenanzug. Sieht man, der Typ ist krebsrot, obwohl ihn seine Frau stündlich einreibt.

Ein Stück weiter hält sich eine dicke englische Lady mit blauen Äderchen unter der auch sonst eher ins Lila gehenden Haut einen Spiegel unters Doppelkinn. Damit auch dies auf die Sonnenseite des Lebens rückt. Papierne Hütchen auf ringsum ins Blau gestreckte Nasen deuten an, daß diese bereits verbrannt sind. In einigen hundert Metern Entfernung, da, wo die Nackichten sonnensuhlen, klettern Paviane über die Felsen. Aber nein, Menschen sinds, pardon! Menschen, die offensichtlich alles daransetzen, die Folgen des Ozonlochs im Selbstversuch vorwegzunehmen.

Die Papierkörbe am Strand quellen über von leeren Cola- und Cremedosen. Sun und After-Sun-Gel, Lichtschutzfaktor 3 mit Nussöl stapelt sich bis Avocadocreme mit Faktor 20. Feuchtigkeitscreme für die Haut und Fett gegen die Austrocknung der Haarpracht. Mensch ist freundlich und glitschig, wenigstens im Urlaub kann er Gleitzeit genießen.

Nach circa sechs ausgedehnten Tagen bist du einigermaßen auf dem Stand und nicht mehr als Frischling erkennbar. Natürlich nur, wenn du sie nicht im Schatten verbracht hast. Immer schön rein ins Licht, der Scheffel kommt zu Hause von alleine wieder. Klar weißt du, das das nicht gesund ist. Aber du bist ja noch jung, was soll da passieren? Krankheit kommt mit dem Alter. Außerdem machen's alle, die hier wie du ihren Individualurlaub gebucht haben. Meine Güte, bei allem, was schön ist, gibt's was zu mäkeln. Macht doch keinen Spaß mehr. Wenn du auf alles achten würdest, da kriegste doch nen Depri von, dann biste nicht mehr lebenstauglich, weil du dann nur noch Angst hast –überleg doch mal, Tschernobyl und so...

Sonne gehört einfach zum Leben. Wohl noch nie was von Lichttherapie gehört, was? Von den notwendigen Vitaminen, die die Sonne gibt. Jawohl, Vitamin D3. Zwar wird der bedarf auch dadurch gedeckt, daß du Gesicht und Handrücken alle zwei Tage 10 Minuten der Sonne aussetzt. Aber wem schadet schon ein bißchen mehr?

Und überhaupt, jetzt wirkt dein Schmuck erst richtig auf der gebräunten Haut. Selbst die Lederriemchen mit den Perlen, die du am Strand gekauft hast. Ein bischen Jane, ein bischen Tarzan, bevor man wieder ins Büro muß oder in die Fabrik ohne Fenster. Daß Jane und Tarzan keine Sonnenallergie hatten wie du, das lag ja vielleicht nur am Maskenbildner. Du hast das mit Calcium und den fettfreien Cremes auch alleine überstanden.

Eigentlich, sagt die Forschung, ist die Sonnenallergie – die ganz gemeinen WissenschaftlerInnen nennen sie Mallorca-Akne –gar keine Sonnenallergie. Vielmehr eine Cremeallergie, die mit Hilfe des Feuerballs ausbricht und den Körper mit häßlichen Papeln überzieht. Eine Allergie, die eher darauf zurückzuführen ist, daß man seine Haut zuvor über den Schminktisch der Kaufhäuser ziehen ließ, nur weil man ihr was Gutes gönnen wollte. Schätzungen zufolge sind mittlerweile bereits ein Fünftel aller Frauen und ein bis zwei Prozent aller Männer von der Mallorca-Akne betroffen. Immerhin wahrt sie das Gesicht. Dort jucken keine Bläschen, und ansteckend ist auch nichts. Du mußt dich lediglich mit einem fett- und emulgatorfreien Gel bestücken.

Noch 'ne Tube mehr. Das Geschäft blüht wie die Pusteln. Der Umsatz mit Sonnenschutzmitteln stieg von 88 Millionen Mark im Jahr 1978 auf 130 Millionen im Jahr 1986. Mittlerweile dürfte er bei 200 Millionen liegen. Cremes stehen dabei vorne an, denn Öle kommen über einen Lichtschutzfaktor von 3 nicht hinaus. Und das reicht nun mal selbst im sonnenarmen Deutschland nicht mehr aus.

Gerade der Dauerregen treibt die meisten zu dem Entschluß, ihre pulsierenden Kilos, die von etwa zwei Quadratmetern Haut zusammengehalten werden, im Bräuningslicht zu lagern. Feierabends auf den Sonnenbänken von Castrop-Brauxel oder Bielefeld, urlaubszeitlich am Strand der Karibik. Mindestens, denn immer ist der Bräunungsgrad auch ein Indiz für die Entfernung, die man sich leistete.

Genau darauf reagiert die Haut mit Schock. Jede Bräunung zeigt ihre ängstlichen Versuche an, sich gegen zuviel UV-Strahlung zu schützen. Die 1,5 bis 4 Millimeter starke Haut ist dabei ein äußerst sensibles Organ. Wenn man bedenkt, daß bereits die Zerstörung von einem bloßen Fünftel der Haut durch Verbrennungen ausreichen, um den Tod ihres Inhalts herbeizuführen, wird man nachdenklich. Vom Krebsrot zum Krebstod ist kein weiter Weg.

In der Bundesrepublik hat sich die Hautkrebsrate im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt. Es wird angenommen, daß in neun von zehn Fällen zu viel UV-Licht der Auslöser war. Das maligne Melanom wird nach Angaben der deutschen Krebshilfe heute etwa dreimal so häufig diagnostiziert wie vor 30 Jahren. Gefährdet sind vor allem Menschen mittleren Alters, die in ihrer Jugend bereits zu viel UV-Strahlung an Baggerseen und Ozeanen abbekommen haben. Doppelt so viele Frauen wie Männer leiden unter der Erkrankung.

Jährlich sind in der (ehemaligen) Bundesrepublik etwa 1500 Melanom-Tote zu beklagen. In Australien, dem Land der WellenreiterInnen, ist die Entwicklung besonders dramatisch. Dort machen Tumore der Haut bereits 50 Prozent aller Krebserkrankungen aus, während es in den USA „erst“ 18 Prozent sind und in Europa etwa 10, mit allerdings deutlich steigender Tendenz. In Amerika wird daher bereits seit längerem an einem neuen Schönheitsideal gebastelt: Blaß is beautiful, heißt die neue Message.

Diese Modewelle hat hiesige Küsten nocht nicht erreicht. An jeder Ausfallstraße sprießen Sonnestudios aus dem regennassen Asphalt. Braun gilt im Gegensatz zu vergangenen Zeiten als fit, schick, gesund, jung und dynamisch. Also versucht man diesen Teint möglichst ganzjährig zu erhalten. Was ein neuerliches nachurlaubliches Streßprogramm auslöst:

Da hat man drei Wochen auf dem Grill geschmort, keine Kosten, keinen Schweiß gescheut, hat sich einbalsamiert wie weiland Großmutter ihre Heringe, hat sich mühsam zur Tiefenbräunung durchgelegen und was passiert, kaum, daß du die Koffer im heimischen Flur abgestellt hast? Du blätterst. Wie ein fußkranker Kanarienvogel in der Mauser. Überall, wo du stehst, liegst oder sitzt, hinterläßt dein meeresfrischer Körper Massen von Hautpartikeln. Sie schweben durch die Luft, hängen auf den Laken, am Bein und an den Ohren. Peu a peu zerbröselt deine Außenschicht, der Prozeß des Sterbens ist unaufhaltbar. Es ist zum aus der Haut fahren. Und wieder wringst du teure Tuben aus, massierst Fett und Öle ein, pflegst, kühlst und beruhigst, das Set für achtundzwanzigmarkneunzig. Dafür verzichtest du aufs baden, weil das die Haut so austrocknet.

Andere investieren in die Zehnerkarte auf der Folterbank. Freiwillig steigen sie in die allseits lichtumfluteten Särge der Sonnenstudios. „Braun werden – braun bleiben“, verheißt man dort. Das Angebot reicht vom einfachen Gesichtsbräuner über die Pigmentdusche bis hin zum Turbo-Bräuner „Black Power 30.000.“ Deiner blonden und recht hellhäutigen Bekannten – „ich werde immer nur fischstäbchenbraun“ – wurde hier ein gemischtes Programm empfohlen, um die wirkliche, die anhaltende Tiefenbräune zu erlangen. Viel Werbung um wenig Effekt. Denn ein hellhäutiger Mensch mit wenig Pigmenten wird halt nicht so braun, da hilft auch keine Pigmentdusche. Was passiert, ist die ständige Neuproduktion der Pigmente, die die Farbe bringen. Allerdings nur vorübergehend. Denn die Pigmentkörnchen werden zerstört, noch bevor die braungefärbten Zellen verhornen und abgestoßen werden.

Folge: Einerseits wird die Haut immer schneller alt, andererseits schreit der Bräunungseffekt nach ständiger Wiederholung. Der Besuch im Sonnenstudio dehnt sich zur Jahreskarte aus. Womöglich mehrmals wöchentlich ist man dabei. Und das, obgleich der Haut maximal 55 Sonnenbäder mit, je nach Hauttyp, 10 bis 40 Minuten zugemutet werden sollten. Das schaffen einige in einer Woche Urlaub. Und weil's nun mal nicht billig ist, ständig bronziert zu sein, geht man schließlich doch wider besseren Wissens zu den Billiganbietern, wo die Sonne aus dem Automaten lacht. Oft direkt in die Augen, denn die notwendigen Schutzbrillen werden dort häufig eingespart. Der Glotz in das UV zersetzt so nicht nur die häutliche Lichtschwiele, sondern auch die Hornhaut des Auges. Der Gang ins Billigstudio ist ein ganz besonderer Abenteuertrip mit der Gesundheit. Zu viele schwarze Schafe blöken in der braunen Branche.

Wieder andere Weißlinge greifen zur Sonne aus der Tube. Das sind die Gescheckten mit den karottengelben Flecken im Haar und auf dem Kragen. „Maxibraun über Nacht“, das indes manchmal eher wie chinesengelb aussieht. Die Selbstbräunerchen zum Ausdrücken gelten nach neueren Untersuchungen als harmlos, zumindest, was das Gesundheitliche angeht.

Eine andere Variante ist das dosierte Ampullensaufen. Die plötzliche Zusichnahme von umgerechnet etwa drei kilo Karotten in flüssiger Form sieht das Bundesgesundheitsamt gar nicht gerne. Ein Sprecher: „Die Menschen werden quasi von innen in der Wolle gefärbt, und es hat eine Menge Beschwerden gegeben. Das Ergebnis fällt oft zu gelb aus. Und niemand kann wirklich sagen, ob die hochkonzentrierten Stoffe gesundheitlich unbedenklich sind.“

Was können wir aus all dem schließen? Knackig braune sind beknackt. Eine Frage indes bleibt offen. Die ganze Lektüre von Ratgeberchen und Forschungsberichten reicht nicht hin, um sie zu beantworten: Warum erinnert Albinohaut so intensiv an die kränkelnde Blässe degenerierter Adelsmitglieder? Mode hin, Mode her, schön war das jedenfalls nicht.

Dora Hartmann