Ein wehrhafter Engel: Jeanne d'Arc als Kinoheldin

„Sie ist lauter und standhaft in ihrer Überzeugung, treu in ihrem Auftrag, mutig bei dessen Erfüllung und tapfer während der Gerichtsverhandlung und im Tod.“ So schilderte A.J. Dunning Jeanne d'Arc in seinem Buch „Extreme“. Die wehrhafte Jungfrau war für ihn das Musterbeispiel eines extrem guten Menschen, aber der klare Blick auf dieses wahrhaft phantastische Phänomen wurde nach seiner Meinung durch den Kult, der um sie wuchs, zunehmend unmöglich gemacht: „Erst wird sie Amazone, Kriegsgöttin, Vorbild in späteren Kriegssituationen Frankreichs, aber auch reines Naturkind, jungfräuliche Unschuld und schließlich Symbol französischer Vaterlandsliebe.“ Für seine Fallstudie ging er zurück zu den Prozeßakten, als „getreue Dokumentation ihres kurzen Lebens“, und genauso hat es auch Jaques Rivette gemacht, denn in den Künsten haben sich schon soviele Autoren, Maler und Regisseure ein Bild von ihr gemacht (der erste Film über sie wurde schon 1898 gedreht), daß ein neuer Blick auf sie unmöglich schien.

Aber jetzt gibt es dieses erstaunliche filmische Portait der Jungfrau von Orleans, das all den Bildungsballast, den Schiller und sogar den Dreyer vergessen läßt. Rivette macht gerne extrem lange Filme, (“Out 1“ mit 730 Minuten sowie „Die Schöne Querulantin“ mit 240) und bei den zwei Teilen seines neuen Werkes mit 160 (“Der Kampf“) und 176 Minuten (“Der Verrat“) erwartet man unwillkürlich schwere Kost. Aber „Jeanne La Pucelle“ ist erstaunlich leicht und unangestrengt. Nach etwa einer Stunde hat man sich an den Erzählfluß des Films gewöhnt und weil Rivette uns teilhaben läßt an seiner Faszination von dieser rätselhaften Frau, wird der Film immer interesanter und spannender; obwohl oder gerade weil Rivette auf alle dramaturgischen Tricks verzichtet. Sein Blick bleibt immer distanziert. Es gibt nur wenige Nahaufnahmen, auch keine überwältigenden Totalen oder raffinierte Kameraeinstellungen. Rivette nimmt sich hier sehr zurück und präsentiert Jeannes Leben als bescheidener Chronist.

Auch in die Fallen der Kostümfilme tappt er nicht, und wie hysterisch sich gerade die Franzosen in diesem Genre gerne austoben, haben sie gerade wieder mit der „Bartholomäusnacht“ bewiesen. Bei ihm gibt es kein blutiges Schlachtengetümmel oder aufwendige Kamerafahrten durch königliche Gemächer. Stattdessen erzählen immer wieder einige Filmfiguren von ihren Erfahrungen mit Jeanne und sie sehen dabei direkt in die Kamera. Neben den so authenisch wirkenden Sets, Kostümen und Figuren wirkt dies merkwürdigerweise überhaupt nicht wie ein Stilbruch. Rivette weiß genau, wie er diese komplexe Geschichte am besten erzählt.

Aber wirklich lebendig wird der Film erst durch durch die erstaunliche schauspielerische Leistung von Sandrine Bonnaire. Ihre Jeanne hat nichts Heldenhaftes oder Heiliges an sich. Während einer Inquisition läßt sie burschikos die Beine baumeln, sie weint vor Schmerz bei einer Verwundung oder gerät in Rage, wenn in ihrer Gegenwart geflucht wird. Aber dann sind da diese Momente, in denen sie plötzlich zu erstrahlen scheint, und man beginnt zu ahnen, wie dieses Mädchen Frankreich retten konnte.

Wilfried Hippen Institut Francais, So. 12 Uhr; Kino 46, Mo. und Di. 18 Uhr; Schauburg Mi. 13 Uhr – jeweils im Original mit Untertiteln