"31 Prozent für mich sind doch ganz gut"

■ Interview mit Walter Momper, der wieder Regierender Bürgermeister werden will: Berlin braucht Autobahnen und Selbstbewußtsein / Mit der PDS keinerlei Zusammenarbeit / Spitzen-Troika mit Stahmer ...

taz: Bei einer Leserumfrage von „Bild“ waren zwei Drittel für Stahmer und nur ein Drittel für Momper. Enttäuscht?

Walter Momper: Nein. Erstens muß man mit solchen Ergebnissen vorsichtig sein. Auch der Regierende Bürgermeister soll angerufen haben. Einen Tag nach dem Start 31 Prozent zu bekommen ist doch ganz gut.

Was bieten Sie der Stadt an?

Ich will Eberhard Diepgen ablösen, damit Berlin wieder mit Selbstbewußtsein antritt. Wir müssen gegenüber Bonn aus der Defensive heraus. Ich will, daß Arbeitnehmer in der Stadt eine sichere Perspektive haben und wieder Reformen für eine menschlichere Stadt in Gang kommen. Es gibt auch Punkte, wo das sozialdemokratische Profil um die Zukunft der Stadt willen verändert werden und frischer Wind hineinkommen muß. Ein zentrales Thema sehe ich bei der Modernisierung der industriellen Substanz und der Umorientierung auf eine Dienstleistungsstadt. Wir brauchen eine offensive Wirtschaftspolitik. Wir müssen auch darüber neu nachdenken, die Menschen fit zu machen für eine Welt, wo immer mehr Menschen im Laufe ihres Lebens vier- bis fünfmal den Beruf wechseln.

Gilt es, die Alltagssorgen der Menschen zu lösen, oder braucht Berlin eine Idee, wo es hingeht?

Eine Politik, die sozusagen nur wie die Feuerwehr herumläuft und aktuelle Probleme löscht, die greift zu kurz. Eine meiner Kritikpunkte an Diepgen ist, daß er nicht in der Lage ist, der Stadt Orientierung zu geben. Da wird zwar immer von Hauptstadt und Metropole geredet, aber das wird inhaltlich überhaupt nicht eigenständig ausgefüllt. Berlin muß der Ort werden, wo sich beispielhaft abbildet, was in der ganzen Nation, im ganzen Volk stattfindet, was diskutiert wird oder was in das Bewußtsein eingebracht, bearbeitet und verarbeitet wird. Berlin muß wieder der Ort des Austauschs zwischen Ost und West werden. Außerdem können hier wegen der zentralen europäischen Lage in Forschung, Kultur und Handel Dienstleistungen für größere geographische Räume erbracht werden.

Braucht Berlin auf diesem Weg ein identitätsstiftendes Projekt?

Nein. Denn es gibt nicht nur ein Projekt. Berlin lebt von fruchtbaren Gegensätzen und neuen Problemlösungen. Wir sollten beispielsweise modellhaft den Verkehr in dieser Stadt organisieren, daß er nicht nur umweltverträglich, sondern auch menschenverträglich ist. Volkswirtschaftlich könnte das ein enormer Kick sein.

Wie sollte das ausehen?

Beim Verkehr fixieren wir uns immer auf die Probleme in der Innenstadt. Dort aber haben wir bereits gute Voraussetzungen für öffentliche Verkehrsmittel, auch wenn es hier noch Mängel gibt. Die wirklichen Probleme haben wir auf den Ausfallstraßen. Das Straßennetz in den Außenbereichen muß mit dem öffentlichen Nahverkehr ausgebaut und die Stadtautobahnen komplettiert werden.

Was muß sich aus Ihrer Erfahrung in der Baubranche ändern?

Ich habe früher unterschätzt, wie wichtig ein „investitionsfreundliches Klima“ ist. Meist wird dieses Schlagwort doch von denen als Keule benutzt, die ein spezifisches Interesse durchsetzen wollen. Inzwischen weiß ich, daß Unternehmen nicht nur günstige finanzielle Ansiedlungsbedingungen, sondern Aufgeschlossenheit und Offenheit brauchen. Heute steht Berlin als Industriestandort in hartem Konkurrenzkampf mit anderen Städten. Dafür fehlt in vielen Behörden und öffentlichen Stellen das Bewußtsein. Ich hatte Kunden, die zwar von einer Behörde korrekt, aber eben auch sehr formal behandelt wurden. Die Aufgeschlossenheit gegenüber Unternehmen ist eine Frage der Ansiedlungskultur.

Teile der SPD leiden unter der Großen Koalition. Hat der Senat eine Arbeit geleistet, die nach 1995 fortgesetzt werden sollte?

Ich leide ja auch darunter. Immer, wenn Herr Landowsky redet, kriege ich Magenschmerzen. Aber ich mache Politik im Regelfall ja nicht mit dem Bauch, sondern mit dem Kopf. Das kann ich meiner Partei nur empfehlen. Im übrigen sind Teile der Politik der Großen Koalition nicht so schlecht. Herr Diepgen macht sozialdemokratische Politik, etwa bei der Herstellung der Tarifangleichung im öffentlichen Dienst oder bei der Fusion mit Brandenburg.

Wie gehen Sie mit der PDS um?

Es wird keine Koalition, Duldung oder Zusammenarbeit mit oder durch die PDS geben. Mein Ziel ist es, möglichst viele Menschen für die SPD zu gewinnen. Koalitionen bestimmen sich schließlich danach, wie die Wähler das Parlament zusammensetzen. Wer eine Regierung ohne die CDU haben will, muß die SPD so stark machen, daß eine Koalitionsbildung mit Parteien möglich ist, die nicht PDS heißen.

Würden Sie erneut einen rot- grünen Senat mittragen?

Die Grünen haben sich ja geändert. Wenn die Schwarzen eine Grüne wie Antje Vollmer in das Bundestagspräsidium wählen, kann ich nur sagen: Die Grünen werden zunehmend zu einer ganz normalen Partei. Deshalb schließe ich Koalitionen nicht aus. Es gibt doch eine Menge interessanter Ansätze für eine Reformpolitik bei den Grünen.

In der SPD erinnern sich viele an Ihren selbstherrlichen und überheblichen Stil. Haben Sie sich verändert, oder ist die SPD verändert, daß Sie glauben, man werde Sie küren? Warum sollten Sie besser sein für die SPD als Stahmer?

Ob ich besser bin für die Partei als Ingrid Stahmer, das haben die 24.000 Sozialdemokraten zu entscheiden. Ingrid Stahmer und ich unterscheiden uns nicht so sehr inhaltlich, sondern im Persönlichkeitsprofil. Wir haben eine unterschiedliche Herangehensweise an Probleme. Sicher hat sich die SPD in den letzten zwei Jahren verändert, aber hauptsächlich habe ich mich verändert. Man wird bescheidener in den Ansprüchen und selbstkritischer und nachsichtiger mit anderen, wenn man älter wird. Ich trete jedenfalls für eine klare, demokratisch legitimierte Führung ein. (Eine Drohung? d.S.)

Was bewerten Sie heute als Fehler?

Ich habe als Regierender Bürgermeister so viel zu tun gehabt, daß dabei auch selbstverständlich Fehler gemacht wurden.

Klaus Böger soll Fraktionschef werden und Detlef Dzembritzki Landeschef. Geht es hier vor allem um eine Befriedigung der Flügel?

Nein. Böger als Rechter, Dzembritzki als Linker und Stahmer und Momper als Weltkind in der Mitte – das stimmt doch so nicht. Die Aufteilung der Arbeit ist eine zweckmäßige Lösung und hängt von den konkreten Umständen und den handelnden Personen ab. Ich kann sowohl mit Böger als auch mit Dzembritzki sehr gut zusammenarbeiten. Sollte ich Spitzenkandidat werden, kommen andere gute Leute dazu, zum Beispiel Ingrid Stahmer und Christine Bergmann. Diese beiden Frauen haben – die eine mehr nach Osten, die andere mehr nach Westen – ein spezifisches Profil, das uns nützt. Das wäre eine Spitze, die inhaltlich das repräsentiert, was die Berliner SPD heute und in der Zukunft ausmacht. Interview: Severin Weiland/

Gerd Nowakowski