Kampf ums Altvatergebirge

In der Tschechischen Republik soll ein touristisches Großprojekt verhindert werden  ■ Von Yörn Kreib

Am Anfang waren sie sich einig. Zdenek Babka, Bürgermeister der tschechischen Gemeinde Vrbno (Würbenthal), wußte zahlreiche Naturschützer hinter sich, als er Einspruch gegen den Entwurf eines neuen Raumordnungsplans für das Altvatergebirge (Jeseniky) erhob. Um das bestehende Skigebiet zu entlasten, forderte er den Bau eines neuen Skizentrums in Vidly (Gabel). Mancher Naturschützer erhoffte sich auf diese Weise die vollständige Aufgabe des bestehenden Skigebiets. Tummeln sich die Urlaubsgäste doch derzeit in einem aus Sicht des Naturschutzes höchst schutzwürdigen Gebiet.

Doch was in der Vorwendezeit auf administrativem Wege wohl kein Problem gewesen wäre, scheitert heute an den neuen marktwirtschaftlichen Verhältnissen. Denn wer sollte den neuen Privateigentümern von Hotels und Liftanlagen die „Liquidierung“ ihres Besitzes, ihrer Einnahmequelle vorschreiben? Das auf der bisher unberührten Nordseite des Altvatergebirges geplante „Ersatz“-Skizentrum würde deshalb nicht auf eine Entlastung, sondern auf eine Kapazitätserweiterung hinauslaufen. Mit nur einem weiteren Lift ließen sich die beiden Skigebiete verbinden.

Das Altvatergebirge (1.450 Meter) liegt im Osten der Tschechischen Republik, nahe der polnischen Grenze. Es ist, neben dem zum Nationalpark erklärten Riesengebirge, der zweite Gebirgsstock im Sudeten-Bergland, dessen Höhen über die Waldgrenze hinaus steigen. Ehemalige Gletscherkessel sind zum Refugium einer ganzen Reihe arktisch-alpiner Pflanzenarten geworden. Aufgrund seiner einzigartigen, vielfältigen Flora und Fauna genießt das Altvatergebirge seit Mitte der siebziger Jahre den Status eines „Geschützten Landschaftsgebiets“ (CHKO Jeseniky); vergleichbar dem deutschen „Landschaftsschutzgebiet“, allerdings mit einer eigenen Verwaltung ausgestattet.

Nach Informationen der Umweltschutzorganisation „Deti zeme“ (Kinder der Erde) sind fast 18 Quadratkilometer Waldfläche zur Rodung vorgesehen. Auer-, Birk- und Haselhuhn, Baummarder und Luchs würden das Gebirge wohl endgültig verlassen. Seine geringe Ausdehnung läßt das Altvatergebirge in hohem Maße sensibel auf Eingriffe in den Naturhaushalt reagieren. Angesichts der zur Zeit herrschenden wirtschaftlichen Ausweglosigkeit scheinen viele der Lokalpolitiker ökologische Risiken in Kauf zu nehmen. Denn der touristische Ausbau wird als ökonomisches Allheilmittel gepriesen.

Ohne von außen in die Gemeinde fließendes Kapital jedoch bleiben alle Pläne Makulatur. Stanislav Skotak, ein Spediteur aus der Bezirksstadt Bruntal (Freudenthal), will 260 Millionen Mark in die touristische Zukunft des Altvatergebirges investieren. Holländisches und schwedisches Kapital stärken ihm den Rücken. Um welche ausländischen Kapitalgeber es sich tatsächlich handelt, konnte bis heute nicht in Erfahrung gebracht werden, sagt der tschechische Umweltschützer Paul Hron.

Dafür weiß man Genaueres über die geplanten Ausmaße des Skizentrums: dreizehn neue Aufstiegshilfen, darunter eine Seilbahn mit einer Beförderungskapazität von 1.500 Personen/Stunde, zehn neue Skipisten, Parkplätze, Hotels und Restaurants.

Nach einem vom Investor organisierten „Informations-Rundflug“ im Hubschrauber über dem Planungsgebiet, gab es für die mitgeflogenen Lokalpolitiker kein Halten mehr. Von 2.500 neuen Arbeitsplätzen ist die Rede.

Ob aber überhaupt ausreichend Langzeittouristen den Weg ins Altvatergebirge finden, scheint angesichts der im Vergleich zu den Alpen unsicheren Schneeverhältnisse fraglich. Schon heute kommen fast ausschließlich Tages- und Wochenendgäste aus den umliegenden Agglomerationen (von Brünn ca. 90 Minuten mit dem Pkw). Diese Spezies von Touristen erzeugt kaum Einkommen, aber ein hohes Verkehrsaufkommen in der Region. Viele Wintersportorte in anderen Mittelgebirgen (Schwarzwald, Allgäu) haben diese schmerzliche Erfahrung lange hinter sich – und bemühen sich seitdem vorrangig um lukrative Langzeitgäste.

Tschechische Umweltschutzorganisationen fordern denn auch die Streichung des ökologisch und ökonomisch unsinnigen Fremdenverkehrsprojekts aus dem Raumordnungsplan. Zusammen mit der „Stiftung Europäisches Naturerbe“ (Euronatur) engagieren sie sich für einen sanften Tourismus im Altvatergebirge. Ohne größere Investitionen wäre die Bereitstellung eines auch für ausländische Gäste attraktiven Loipennetzes möglich. Bestehende Forststraßen müßten gespurt und einige zusätzliche bewirtschaftete Hütten an den Loipen errichtet werden. Diese könnten im Winter als Langlaufbasis, im Sommer als Wanderunterkunft und Ausflugsziel dienen. Die attraktive, weil ökologisch intakte Mittelgebirgslandschaft bliebe so weitestgehend erhalten.

Bisher gelang es der engagierten Gruppe von Umweltschützern, ihr Anliegen über die Presse und Informationsveranstaltungen auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. So unterstützt inzwischen auch der deutsche „Bund für Umwelt- und Naturschutz“ (BUND) die Bemühungen der tschechischen Verbände. Die zuständige Forstverwaltung und das Wasserwirtschaftsamt bezogen mittlerweile ebenfalls eindeutig Stellung gegen das geplante Skizentrum.

Eine Vertreterin des Wirtschaftsministeriums in Mährisch- Ostrau erklärte, daß ein Skigebiet solchen Ausmaßes wohl nicht genehmigungsfähig sei. Und sogar das mit der Erarbeitung des Raumordnungsplans beauftragte Ingenieurbüro „Terplan“ in Prag sah sich zu einem „Rückzieher“ gezwungen. Der Plan des Skizentrums sei dem Raumordnungsplan nur beigefügt worden, hieß es, um seinen Befürwortern die zerstörende Wirkung eines derartigen Projekts zu verdeutlichen.

Bürgermeister Babka, von verschiedenen deutschen Naturschutzverbänden auf das geplante Skizentrum angesprochen, versteht die Aufregung um ein „zwanzig Jahre altes“, längst im Kreisarchiv eingelagertes Tourismusprojekt überhaupt nicht. Nur weil ein Unternehmer laut über die Realisierung des Projekts nachgedacht hätte, würde er nun von allen Seiten beschuldigt, „unser Gebirge vernichten zu wollen“. Von seinem einstigen Einspruch, der die touristische Lawine im Altvatergebirge überhaupt erst mit ins Rollen brachte, will er heute nichts mehr wissen.

Allein mit der Verhinderung des Skizentrums geben sich die tschechischen Umweltschützer angesichts der herrschenden Planungspraxis nicht mehr zufrieden. Sie wollen die zukünftige Entwicklung ihres Landes mitgestalten und fordern dringend die bisher fehlende demokratische Praxis bei der Aufstellung und Beschließung des gesamten Raumordnungsplans ein. Denn selbst die Verwaltung des betroffenen, 740 Quadratkilometer großen Schutzgebietes war an der Aufstellung des Raumordnungsplans nicht beteiligt.

Noch würden auf den Reißbrettern der Ingenieure zerstörerische, nicht lebensfähige Dinosaurier geboren, meint Paul Hron. Dabei handele es sich häufig um technische Lösungen, die meist oberflächlich, ohne Kenntnis der Zusammenhänge, in den Ländern mit „Vorbildfunktion“ abgeschaut wurden, ohne zu wissen, daß sie dort längst abgemustert wurden.