Noch 16 Minuten bis zur Abfahrt

■ Ohne Reservierung mit Bahn und Rad durch Europa: Eigentlich unmöglich?

Bahn und Fahrrad – ein ideales Liebespaar, sollte man meinen. Vor allem in einem Land wie den Niederlanden, wo inzwischen so viele Leute das Rad benutzen, daß man auf überregionalen „Fietspaden“ vor Kreuzungen verkehrsberuhigende Kurven einbaut, damit die Radler nicht zu viele Fußgänger umnieten. Kompliziert wird's allerdings, wenn man versucht, Holland nicht auf Radwegen, sondern schön bequem mit der Bahn zu verlassen.

Am Bahnhof von Zandvoort direkt am Meer, sieht man sich computertechnisch nicht in der Lage, eine Fahrkarte nach Bremen auszustellen. Bleibt nur, sich zunächst nach Amsterdam vorzukämpfen, wobei für die Strecke eine extra Fahrradkarte zu neun Gulden fällig wird. Die spare ich mir, wovor mich die Frau am Schalter warnt. Da in Holland nicht in jedem Zug kontrolliert wird, kommt mein schwarzfahrendes Rad ungeschoren davon.

In A'dam verstaue ich mein Gepäck im neuen computergesteuerten Schließfach, das so nett ist, mir das fehlende Geld aus Versehen auszuzahlen statt einzukassieren. Die Nacht verbringe ich im Café Prins und in einer Art Obdachlosenpension gegenüber vom Bahnhof (fünfundzwanzig Gulden ohne Frühstück). Merkwürdigerweise wird mein Rad nicht gestohlen. Das erweist sich am nächsten Tag als Handicap. Vorm internationalen Schalter der Centraal Station ziehe ich eine Nummer. Die wird just piepend aufgerufen, als sich jemand nach den Bremsen meines Rads erkundigt. Sekunden später stehe ich allein am Schalter, werde abgewiesen, weil meine Nummer abgelaufen sei. Jetzt käme erst einmal der nächste dran und dann ich. Ich erhalte eine Fahrkarte für mich, die für mein Rad soll ich mir am Gepäckschalter besorgen. Auf dem Weg versuche ich nochmals den Trick mit dem Schließfach, das zahlt heute aber nicht aus. Noch sechzehn Minuten bis zur Abfahrt.

Die Männer am Gepäcktresen füllen umständlich eine Karte über Köln aus. Als ich ihnen sage, daß ich da gar nicht vorbeikomme, wird ihnen klar, daß ich mein Rad nicht aufgeben, sondern selbst transportieren will: „Dazu müssen Sie eine Reservierung haben. Die gibt es nicht bei uns, sondern am internationalen Schalter. Mit der Reservierung kommen sie wieder hierher und kaufen die Karte. Kostet zwanzig Gulden.“

Also zurück. Die Schlange ist inzwischen länger als vorher. Noch elf Minuten. Wenn ich den Zug nicht verpassen will, muß ich die Bahnbürokraten austricksen. Ich springe aufs Rad, düse quer durch die Masse in der Bahnhofshalle zum Inlandschalter. „Ich hätte gern eine Fahrradkarte.“ Wohin? Jetzt bloß nicht Bremen sagen. Letzter Ort vor der Grenze: „Hengelo!“ Das erste Mal Glück heute: sie verlangt nicht meine Auslandsfahrkarte. Für nur neun Gulden – schon wieder Pech: Ich habe nur noch acht und muß ihr einen Euroscheck geben – kriege ich das Radticket Amsterdam–Hengelo.

Durchgeschwitzt erreiche ich den Zug. Es kommen Kontrolleure: „In einem holländischen Zug brauchen sie gar keine Reservierung. Nur wenn Sie einen Interregio nach Deutschland benutzen.“ Die Holländischen Staatsbahnen verhalten sich demnach päpstlicher als der Papst. In Deutschland wurde die Reservierungspflicht für die acht Stellplätze im „Bike-Abteil“ im Mai gerade wieder abgeschafft.

In Hengelo hieve ich das Rad durch die viel zu enge Tür in den Interregio nach Osnabrück. Es ist das einzige Rad im Zug. In O. heißt es ohne Murren am wartenden IC vorbeischieben (der keine Räder transportiert) und auf den Eilzug warten. Nur meine Radkarte gilt eigentlich längst nicht mehr. „Ach, das seh'n wir nicht so eng“, sagt der Schaffner. Andreas Becker