: Altes Wissen für moderne Menschen
An der Mosel werden Krankheiten und Belastungen mit alter indischer Medizin, dem Ayurveda, kuriert. Ein Therapieangebot für Menschen mit Geld, höchster Streßbelastung und wenig Zeit für Gesundheit ■ Von Edith Kresta
Schon seit Braunschweig teile ich das Abteil mit einem Troß aufgekratzter Frauen. In Köln wechseln wir gemeinsam den Zug. Offensichtlich haben wir das gleiche Ziel: die Mosel. Die Kegelschwestern, wie sie sich selbst rufen, wollen dieses Wochenende die Vereinskasse auf den Kopf hauen. Denn es ist Hochzeit an der Mosel, die Zeit der Weinfeste. Sektflaschen, Pflaumenlikör, Selbstgebrautes, Bier, Wurstbrote und Süßigkeiten machen die Runde im Zug. Ohne Unterbrechung wird reingeschoben. Dazwischen wird gewitzelt, gelacht. Jeder Satz irgendwie eine Zweideutigkeit. Ab Köln scheinen sich dann sämtliche Vereine der Republik im Zug verabredet zu haben. Keine Chance auf den reservierten Platz. Vom Ende der Vereinskultur, die der Spiegel bereits eingeläutet hat, ist hier nichts zu spüren. Hier wird gemeinsam – Männchen und Weibchen meist vereinsmäßig getrennt – die Sau raus gelassen: offensiv gebändelt, laut gesungen und vor allem unmäßig getrunken.
Unmäßig getrunken wird auch am Ziel meines Schnupperwochenendes an der Mosel, im Parkschlößchen Traben-Trarbach. Allerdins wohl bedacht: heißes Wasser mit Ingwer oder Kräutertee. Denn „das spült die Zellen durch. Sie nehmen zum Geschirrspülen ja auch kein kaltes Wasser“, so der leitende Arzt Ulrich Bauhofer. Das leuchtet mir sofort ein. In Traben-Trarbach hat sich zwischen all diesem touristischen Treiben drittklassiger Kategorie an der Mosel ein erstklassiges Erholungsressort mit altindischer Medizin, dem Ayurveda, etabliert. Und das kam so:
Wolfgang Preuß, Unternehmer für Fernsehstudios aus Mainz und millionenschwer, war, wie er in gnadenloser Selbsteinschätzung berichtet, „absolut unten“. Ein Freund empfahl ihm eine ayurvedische Klinik im Schwarzwald. Dort wurde er von dem Arzt Ulrich Bauhofer behandelt. Der Erfolg war, so der Kettenraucher und sehr diesseitig wirkende Preuß, „einfach großartig.“ Und „aus Dankbarkeit und Überzeugung“ sponserte Preuß mit 23 Millionen – „Geld bedeutet mir gar nichts, ich weiß nichts damit anzufangen“ – Ulrich Bauhofers Traum: eine Klinik, nach allen Finessen ayurvedischer Heilkunst ausgestattet. Das passende Grundstück fand man an der Mosel: eine Jugendstilvilla. Luxuriös ausgebaut und renoviert, wird dort Ayurveda in Höchstform und zum Höchstpreis praktiziert.
Das aus dem indischen Sanskrit stammende Wort Ayurveda bedeutet Wissen (Ved) vom Leben (Ayus). Ayurveda ist eine Jahrtausende alte indische Volksmedizin. Gesundheit im Ayur-Ved „ist der Zustand des vollkommenen Gleichgewichts aller körperlichen und geistigen Funktionen“. Die Klinik will „Gesundheit in diesem umfassenden Sinn aufbauen und schon bestehende Krankheiten mit natürlichen Mitteln heilen“. Der mit der Audienz für die Beatles bekanntgewordene Maharishi Mahesh Yogi, dessen Wissen auch die Yogis der Naturgesetzpartei im Werbespot über den Bildschirm hüpfen läßt, hat das Ayurveda mit Hilfe westlicher Mediziner zunächst in den USA bekanntgemacht. Seit 1986 wird Ayurveda auch in Deutschland praktiziert. Der ayurvedische Arzt braucht dazu ein abgeschlossenes Medizinstudium.
Ende 1993 wurde die Klinik in Traben-Trarbach eröffnet. Ein Park mit alten Bäumen und einem plätschernden Bächlein empfängt den Besucher. Das Haus strahlt Ästhetik, Stil und Stille aus. „Das ganze Haus ist Therapie“, verspricht der Prospekt. Die Prinzipien des Ayurveda werden hier auch innenarchitektonisch umgesetzt. Topmäßig: Die Materialien sind edel und natürlich; Elektroleitungen sind gegen Elektrosmog doppelt abgeschirmt; der Standort der Schlafstätte ist auf Wasseradern oder sonstige Spannungen geprüft; die Matratzen sind aus bestem Latex; die Lichtverhältnisse sind computergesteuert, um die natürlichen Jahres- und Tageszeitenrhythmen zu unterstützen. Zurückhaltend meditative Klänge durchziehen die Räume. Im ganzen Haus wandeln die handverlesenen Gäste über dicke Teppiche, umgeben von ausgetüftelten Farbkompositionen aus Lachs und Gelb, Lindgrün und Zartrosa. Sie sollen anregend wirken, wie der leicht rötliche Frühstücksraum oder beruhigend wie der lindgrüne Aufenthaltsraum. Und selbstverständlich ist auch jedes Zimmer farblich und von den Möbeln auf den jeweiligen Typen abgestimmt. Nicht auf die Augen- oder Haarfarbe, sondern auf das bestimmende Dosha des Gastes.
Nach ayurvedischem Ansatz wird das Geist-Körper-System von drei grundlegenden Prinzipien, den Doshas, gesteuert: Vata, Pitta und Kapha. Leicht, schnell, beweglich, trocken und rauh sind die Eigenschaften von Vata. Es wird den Elementen Raum und Luft zugeordnet. Pitta ist heiß, scharf, leicht, flüssig und sauer. Feuer und Wasser gehören zu Pitta. Charakteristisch für Kapha ist schwer, kalt, ölig, süß und unbeweglich, entsprechend den Elementen Erde und Wasser. Jeder Mensch, so der Arzt, sei eine Mischform dieser drei Doshas mit unterschiedlicher Ausprägung. Über den Puls erkennt er den Typ: Vata und Pitta, wenig Kapha ordnet er mir zu. Ich hätte mich auch schicksalshaft einer Etikettierung als Pykniker gefügt.
Die Typenlehre im Ayurveda läßt tief blicken. Typen mit einem überproportionalen Vata-Anteil sollen über schnelle Auffassungsgabe verfügen, sie neigen aber auch zu Besorgnis, Nervosität und ermüden schnell. Oft müssen sie sich mit Blähungen und Verstopfung herumschlagen. Pitta-Typen werden ein scharfer Intellekt, Sprach- und Redebegabung, Durchsetzungsvermögen, Unternehmungslust, aber auch Zornausbrüche nachgesagt. Sie plagen sich am häufigsten mit Entzündungen und Hautausschlägen. Kapha- Menschen gelten als bodenständig, ruhig, tolerant, langsam, behäbig und unflexibel. Ihr häufigstes körperliches Manko: Müdigkeit, Bronchitis und Nebenhöhlenerkrankungen. Zur Besänftigung der aus dem Gleichgewicht geratenen Doshas rät der Arzt zu einer Lebensweise, die dem dominierenden Dosha entgegengesetzt ist. Deshalb wird der behäbige Kapha- Typ in einem belebenden apricotfarbenen Zimmer mit leichten Möbeln einquartiert, der aufgedrehte Vata-Typ wird im lindgrünen Zimmer mit den schweren Möbeln ruhiggestellt, und der heftige Pitta- Typ im mittelblauen Zimmer abgekühlt. Abends versammeln sich die Gäste zum Gespräch. Der Arzt Bauhofer erläutert das „Unternehmen Mensch“. Er erzählt vom Zusammenspiel der Zellen, von der Intelligenz, die die Materie steuert, und davon, daß sich jede Zelle selbst heilen kann. Inhaltsgeschwängerte Vorträge, untermalt von hier und da knurrenden Gedärmen. „Eindeutige Beweise für die Nachhaltigkeit der Therapie“, versichert der erfolggewohnte Arzt. Die Gäste erfahren bei diesen abendlichen Sitzungen auch, daß jeder für seine Schlacken und sein Wohlbefinden mitverantwortlich ist. „Es gibt keinen besseren Arzt, als den eigenen Körper“, meint der Arzt. Durch Krankheit wehre sich der Körper gegen eine zerstörerische Lebensweise, und die fange schon bei ständiger Unzufriedenheit an. Also, nie wieder unzufrieden sein! Bloß wie?
Der Arzt erzählt weiter über die natürliche Ordnung der Dinge, aus der man auch eine soziale Ordnung beispielsweise im höheren Management ableiten könne. Also nicht drei vor Ideen sprudelnde Vata-Typen in einer Abteilung, sondern möglichst nur einen und dazu den durchsetzungsfähigen Pitta-Typ und einen beständigen, ausgleichenden Kapha-Typ. Wenn das Gleichgewicht gestört ist, funktioniert die Kommunikation nicht mehr. Sie muß dann wiederhergestellt werden. Im Management durch gezielten Einsatz der Typen, in den Körperzellen durch Entgiftung, inneres Großreinemachen und Massagen für Leib und Seele.
Der Unternehmer aus dem Rhein-Gebiet, knapp hinter der Lebensmitte, schätze ich, sieht angeschlagen aus. Er ist erst zwei Tage im Parkschlößchen. Um die Schlacken aus seinen Körper zu lösen, bekommt er morgens statt Frühstück geklärtes Butterfett, Ghee genannt. Dazu Wärmebehandlungen. Heißes Essen und heißes Wasser sollen die Gefäße erweitern und die Schlacken abtransportieren. Essen mag er gar nicht mehr. Er hält sich an seinem warmen Wasserglas fest. „Wenn schon entschlacken“, gesteht er, „dann auch gleich die Ringe um den Bauch.“ Dabei sieht er ausgesprochen gut erhalten aus. Und das vegetarische Essen im Parkschlößchen, eine Mischung zwischen indisch und Nouvelle cuisine, ist gesund und schmeckt hervorragend.
„Man ist, was man ißt“, lautet die Maxime. „Ihr Ohrläppchen“, sagt der Arzt und zieht an seinem, „bildet sich aus Eisbein, Gemüse oder sonstigen kulinarischen Genüssen. Daher sei es schwer verständlich, warum manche Menschen mehr für ihr Autoöl als für ihr Salatöl ausgeben“, gibt er zu bedenken. Der Unternehmer aus Rhein-Main hat damit keine Probleme. Er kauft ohnehin nur bestes kaltgepreßtes Olivenöl. „Direkt vom Hersteller aus der Toskana“, verrät er mir. Außerdem ist er gerade weniger mit der Bildung als mit der Entschlackung der Zellen beschäftigt. Gefaßt sieht er den Einläufen, die morgen auf dem Programm stehen, entgegen. Schließlich werden die Abfallstoffe nicht nur durch die Haut, sondern vor allem durch abführende Einläufe herausgeschwemmt. Ein harter Weg zu neuem Glanz.
Dazu gibt es Psychotechniken wie Yoga und transzendentale Meditation, individuelle Betreuung und ärztliche Beratung zu Ernährung und Lebensweise. Die elegante 60jährige selbständige Kauffrau aus dem Hessischen hat Butterfett, Einläufe, aufbauende Massagen und Ölguß gut hinter sich gebracht. „Ich fühle mich nach zehn Tagen Therapie rundum wohl, wie noch nie“, erzählt sie begeistert. Was ich bei den Preisen – 7.955 Mark für zwei Wochen Regenerationstherapie und Prophylaxe – als nur allzu gerecht empfinde. Sie schwärmt von den entspannenden Ölmassagen, wie der vierhändigen Synchronmassage „Liebende Hände“ und vor allem von Pizzichilli, dem Königsguß. Eine Stunde fließt warmes Sesamöl über den Körper. Es soll das Gewebe reinigen und kräftigen. „Bei Rauchern“, weiß sie, „soll das gelbliche Öl hinterher ganz schwarz sein.“ Sie rauche zum Glück schon seit Jahren nicht mehr. Deshalb, glaubt sie, habe ihr Kreislauf selbst den anstrengenden Königsguß problemlos überstanden. Sie hat hier alles ausprobiert, nur meditieren möchte sie nicht. „Ich bin katholisch“, gibt sie zu verstehen. Auch der Mikrochip-Mann aus München sprüht vor neuer Energie. „Alle Müdigkeit, Abgeschlagenheit sind wie weggeblasen. Pfeifend bin ich durch die Straßen des Örtchens spaziert. So habe ich mich schon seit Jahren nicht gekannt.“ Auch wenn er jetzt fast schwebe, fügt er hinzu, mit Esoterik habe diese Art der Behandlung nichts zu tun.
Esoterik schwingt im Parkschlößchen allenfalls in den vedischen Klängen, den indischen Gebetslitaneien oder den Zwischentönen mit. Dann nämlich, wenn diese effektive Variante homöopathischer Behandlungsmethoden aus dem alten Indien als einziger Weg zum körperlichen Wohl und psychischen Heil gesehen wird. Als der Weg zum Verständnis der natürlichen Lebenszusammenhänge, die bis in die Etagen des höheren Managements ihre Gültigkeit haben sollen. Und wenn mein Tischnachbar mit leidendem Blick nach dem zweiten Einlauf beteuert, er fühle sich auf ganz neuen Wegen, so ahnt man die verführerische Kraft der anderen Erfahrung. Neues Bewußtsein beflügelt sein geplagtes Sein.
Doch im Parkschlößchen weiß man, was man seiner zahlungskräftigen Klientel schuldig ist: Seriosität, Aufklärung über die Begegnung mit einer Medizin der bewußteren Art und allerhöchsten Standard. Und der ganzheitliche Ansatz ayurvedischer Medizin, abgesehen von den exotischen Gewürzen und Heilkräutern, vom ausgetüftelten Entschlackungsprogramm und den raffinierten Ölmassagen, ist schlicht einleuchtend. Auf den eigenen Organismus hören, regelmäßig leben, essen, was man verträgt, schlafen, wenn man müde ist, und ein Bewußtsein dafür zu entwicklen, daß man für Krankheiten mitverantwortlich ist. Chronische Krankheiten wie Rheuma oder Entzündungen, Abnutzerscheinungen, Immunschwächen werden hier angegangen. Ein erfolgreiches Vorbeugeprogramm und vielleicht eine Kurskorrektur im Zusammenspiel von Körper, Seele und Geist. Auch ich will künftig gesünder leben. Mit guten Vorsätzen und einem schmerzenden Zahn fahre ich nach Hause. Hinter den Zahnschmerzen vermute ich einen ersten Kurerfolg. Eine halbgelöste Schlacke, die nach Schnuppermassage und bewußter Ernährung sicherlich erbarmungslos nach außen drängt.
Selbstheilung ist im restlos überfüllten Zug nicht angesagt. Es wird gestoßen und gerempelt. Die Vereinskasse ist umgesetzt, die Vereinsmitglieder fahren wieder mit mir zurück. Abgeschlagen auch sie wie bei einer Entschlackungskur, nur das hier unaufhörlich neue Schlacken angesetzt werden. Zwei Tage draufmachen, und die kreisenden Bierdosen bringen auch ihre Augen zum Glänzen. „Man ist, was man ißt“ – die schlichte Volksweisheit meiner Großmutter, im Parkschlößchen groß wiederentdeckt, fällt mir ein. Ein zugegeben bescheidener ganzheitlicher Ansatz auch unserer Körperkultur, verschüttet unter Fast food, Dosenbier und anderem Zivilisationsmüll. Ihn auszubuddeln ist im Alltag nicht einfach, in der Gerätemedizin nicht angesagt und in Traben-Trarbach nicht vielen erschwinglich.
Auskunft: Deutsche Gesellschaft für Ayurveda, Wildbachstr. 201, 56841 Traben-Trarbach, Tel: 06541/ 5817 und Parkschlößchen Bad Wildstein, Wildbadstr. 201, 56841 Traben-Trarbach, Tel: 06541/ 7050, Fax 705120
Kennenlernpreise in Taben-Trarbach: drei Tage mit Massage, Ölguß und ärztlicher Betreuung für 1.150 Mark. Fünf Tage 2.250 Mark.
Neben diesem Nobeletablissement gibt es etwas günstiger Angebote in: Sasbachwalden-Breitenbrunnen, Tel.: 07841/ 6820; 49143 Bissendorf, Tel.: 05402/ 750; 56130 Bad Ems, Tel.: 02603/ 94070; 82343 Pocking, Tel.: 08157/ 7133
Möglichkeiten der ambulanten Behandlung in: 20148 Hamburg, Tel.: 040/ 204580; 93049 Regensburg, Tel.: 0941/ 26771 und 33106 Paderborn, 05254/ 750.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen