: Die Blockwarte vom Pfaffenwinkel
13.000 Mark investieren Münchner Bürger in die Bekämpfung einer Flüchtlingsunterkunft – Observation, Kontrollgänge und Lärmmessungen sollen Stoff für Gerichtsstreit liefern ■ Aus München Corinna Emundts
Hans Schmidtbauer ist ein freundlicher und zurückhaltender Mann. Einer, der andere ausreden läßt und zuhören kann. Man nimmt es ihm ab, daß er Vertrauensmann ist im Betrieb – für die zumeist ausländischen Azubis, die zu dem Werkzeugmachermeister auch mal mit privaten Problemen kommen. „Ich habe nichts gegen Ausländer, die arbeiten und ihre Steuern zahlen“, sagt er in die feuchtkalte Novembernacht, „wirklich nicht.“ Dann bleibt der 51jährige stehen und zeigt auf eine von Bäumen verdunkelte Wiese neben der Straße: „Hier war der Umschlagplatz der Asylanten, da ging es ab, von einem Kofferraum in den andern.“ Es ist kein normaler Abendspaziergang, zu dem Schmidtbauer mit Freunden und Hunden seit zweieinhalb Jahren jeden Abend gegen neun Uhr aufbricht. Die Route ist immer dieselbe, sie beginnt an der Containerunterkunft für derzeit etwa 250 Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge in der Slevogtstraße in München-Sendling. Bemerkten die Teilnehmer des Nachttrupps etwas Verdächtiges, würden sie, wie schon so oft, die Polizei rufen.
Hans Schmidtbauer ist Mitglied der „Bürgerinitiative Slevogtstraße/Sendling/Südpark“, genannt „BISSS“, und hat in Wirklichkeit einen anderen Namen*. Doch den will er in keiner Zeitung mehr sehen, weil ihn sonst anonyme Anrufer als „Nazi“ beschimpfen. „Dabei sind wir keine Nazis. Schauen Sie uns an, sehen wir aus wie böse Menschen?“ Zu acht sind die Nachbarn heute abend unterwegs, ihre zwei Hunde dürfen die Umgebung frei inspizieren. Sie treffen sich am Pfaffenwinkel, der Weg führt ein Stück durch den Park und auf die Rückseite des Containerlagers zu. Manchmal, erzählen die Rundengänger, bleiben sie mit ihren Hunden ein wenig vor dem Eingang der Unterkunft stehen, damit die drinnen sie auch bemerken. „Unsere älteren Nachbarn fühlen sich sicherer, wenn sie wissen, daß wir unsere Rundgänge machen“, erzählt Christine Schwindler, die über ein erstaunliches Detailwissen über die Vorgänge in den Containern verfügt.
Nach der Runde werden sie in Schwindlers Wohnzimmer noch tagen, um ihre Anträge für die morgige Bürgerversammlung abzusprechen. Kuscheltiere stecken im Treppengeländer, die Wände hängen voller Kinderbilder, auf dem Couchtisch stehen Lebkuchen bereit. Es sind, so scheint es und so sehen sie sich selbst am liebsten, ganz normale Bürer, die sich zusammengefunden haben, um gegen die Container-Unterkunft „mit allen Mitteln“, wie sie selbst betonen, zu kämpfen.
Hundert stille Mitglieder zählt die BISSS nach eigenen Angaben, zehn sind aktiv: Besitzer kleiner Reihenhaushälften, überwiegend Ehepaare mittleren Alters, die Kinder sind gerade aus dem Haus. Ihre Gemeinsamkeit: Der Blick vom Schlafzimmerfenster auf eine zuvor unberührte Wiese, der ihnen im April 1992 von der Stadt München mit zweistöckigen grünen Metallcontainern verbaut wurde. Die Aktivisten haben offenbar viele Sympathisanten im Stadtviertel. Wie sonst hätten Spendenzusagen in Höhe von 13.000 Mark, die BISSS für eine TÜV-Lärmmessung im laufenden Gerichtsverfahren benötigt, nach einem Spendenaufruf zusammenkommen können? Vor zwei Jahren waren für das erste Gerichtsverfahren gegen die Stadt, das BISSS verloren hat, schon einmal 17.000 Mark gespendet worden. Einige Anwohner, teilweise aus den Betonblocks auf der anderen Seite des Containerlagers, ließen dieses Mal jeweils einen Tausender für die Bekämpfung des Lagers springen. Unter den Nachbarn mag die Höhe der Spende mittlerweile auch zur Prestigefrage geworden sein.
Doch nicht nur Geld haben die Hausbesitzer in ihren Kampf gegen die Container investiert. Die minutiös gefertigten Monatsberichte, die BISSS unter anderem an Kirche, Parteien und die Stadtverwaltung schickte, haben sie viel Zeit gekostet. Die Flüchtlinge in den Containern wurden über zwei Jahre hinweg fast rund um die Uhr observiert. „Manchmal hätte ich natürlich lieber Tennis gespielt, als den Monatsbericht zu tippen“, gesteht Andrea Sailer, mit 31 Jahren die Jüngste in der BISSS, aber dann habe sie sich doch wieder so über „das Lager“ geärgert, daß sie weitergeschrieben habe. Das Münchner Verwaltungsgericht hat die Berichte jedoch Ende Juli 1994 als Beweismittel für die Klage über Lärmemissionen abgelehnt. Ein unabhängiger TÜV-Prüfer soll nun die Geräusche von den Reihenhäusern aus messen.
Samstagnachmittag in Sailers Garten. Schmidtbauers, durch ihren gemeinsamen Protest inzwischen mit Sailers eng befreundet, sind gekommen. Natürlich hört man die 20 Meter entfernte Flüchtlingsunterkunft: spielende Kinder. Im Garten plätschert der automatische Springbrunnen. Jedes vorbeifahrende Auto wird genau registriert. Candy, Sailers Hund, rast alle paar Minuten zum Zaun und kläfft in Richtung Kinderstimmen. „Der ist auch schon ganz neurotisch“, bemerkt sein Frauchen. „Wenn es immer so leise wäre, hätten wir uns unsere ganze Arbeit sparen können“, sagt Doris Schmidtbauer. Fast hört sich das an, als ob es ihr leid täte, daß es seit Wochen keine Ruhestörung zu beklagen gibt. Würden sie die vom Gericht verordneten Lärmmessungen jetzt durchführen lassen, verlören sie den Prozeß. Aber aufhören, die Klage wegen „unzumutbaren Lärms und rechtswidriger Baugenehmigung“ zurückziehen – niemals. „Wer“, fragt Andrea Sailer, „garantiert uns denn, daß es so ruhig bleibt?“ Also heißt es warten auf mehr Lärm.
Die wehrhaften Bürger wirken, als wollten sie die Widersprüche ihrer diffusen Argumentation nicht bemerken: Sie sagen, sie seien gegen den Lärm, hatten aber schon vor Aufstellen der Container versucht, die Unterkunft per Eilverfahren zu verhindern – als es den Lärm noch gar nicht gab. Sie behaupten, sie hätten nichts gegen die Flüchtlinge, aber ihre „Monatsberichte“ sprechen eine andere Sprache: „31.12.1993 – Lagerbewohner verpulvern seit Tagen ... Feuerwerkskörper gehobener Preisklasse. 23.30 Uhr: Die armen, notleidenden ABs (Asylbewerber, die Red.) kratzen ihre letzten vorhandenen Raketen und Böller zusammen und verschießen diese.“ Fragt man sie, ob die Kriminalität im Viertel gestiegen sei, erzählen sie von zwei verschwundenen Regenschirmen und geklauten Blumen in Vorgärten. Sailers Garten ist zur Straße hin ein wahrer Schilderwald. Da erklären die BISSS- Mitglieder: „Wir sind gegen Ausländerfeindlichkeit, gegen Gewalt, aber auch gegen Asylmißbrauch.“ Es sind dieselben Schreiber, die in einem Brief an das Wohnungsamt offen mit Gewalt drohen: „Es kann von uns, wenn sich die Situation nicht normalisiert, nicht mehr die Gewähr gegeben werden, daß einer der Anwohner, die allesamt bereits ein angegriffenes Nervenkostüm haben, sich nicht doch zu einer Kurzschlußhandlung hinreißen läßt.“ Seitdem bekommen die Bewohner der Container Polizeischutz.
In der Nachbarschaft werden diejenigen bestraft, die nicht mitziehen oder nicht spenden. Mitglieder der Gegeninitaitve „Miteinander Leben“ – Anwohner, die sich um die Flüchtlinge kümmern – berichten von anonymem Telefonterror und Morddrohungen. „Ich bin gerne bereit, tatkräfig mitzuhelfen, Sie als Volksverhetzer und Staatsfeinde aus unserem Vaterland hinauszuschmeißen“, heißt es in einem namenlosen gekrakelten Schreiben. Eine Rentnerin in der Reihenhaussiedlung wartet vergebens auf Hilfe beim Einkaufen, seit sie sich von BISSS distanziert hat.
Die BISSS-Mitglieder dagegen sehen sich selber als Opfer der rot- grünen Münchner Stadtverwaltung. Keiner hatte sie vorab über die geplante Flüchtlingsunterkunft informiert. Die Anwohner hatten gefordert, auf der Wiese einen Kindergarten bauen zu lassen. „Die Ausländer haben doch mehr Rechte als wir“, schimpft BISSS- Mitglied Anna Ertl. „Da kommst' dir doch als Bürger verarscht vor“, sagt auch Hans Schmidtbauer, „wenn du die Polizei rufst und die nicht kommt.“
Sie sind mißtrauisch geworden gegenüber Fremden und dosieren ihre Informationen. „Das gehört jetzt nicht hierher“, unterbricht Andrea Sailer ihren Mann, der den Bürgerkrieg in Deutschland prophezeit: „Die Deutschen lassen sich das nicht mehr lange gefallen, weil das eben nicht funktioniert mit dem Multikulti.“ Frau Sailer bemüht sich um „Differenzierung“, wie sie sagt. Sie sei keine „Rechte“, habe immer SPD gewählt – bis auf letztes Mal, da sei sie gar nicht mehr wählen gegangen.
In der Nacht zuvor hat irgendjemand die Schilder an Sailers Zaun übersprüht und auf den Gehweg „Nazis raus“ geschrieben. Ein älterer Nachbar, der auch zu BISSS gehört, hat sich vor dem Gartenzaun eingefunden. „Wir sind doch keine Nazis“, sagt er und hebt im selben Atemzug an, einen antisemitischen Vers aus seiner Kinderzeit zu zitieren. „Wenn ich heute ein Jude wäre, wäre ich stolz, einem so kleinen Volk anzugehören, das die Welt beherrscht.“ Keiner widerspricht. „Du Jud – ja, das sagt man, wenn einer es mit dem Geld gut kann“, meint Hans Schmidtbauer arglos dazu.
Anruf in Bonn bei Erich Riedl. Der CSU-Abgeordnete, per Direktmandat und 45 Prozent vom Wahlkreis München-Süd in den Bundestag gewählt, hat BISSS gelegentlich auf ihren Rundgängen begleitet. Er versteht die Anwohner. Riedl, der gerne Worte wie „Asylschwindler“ und „Asylantenzustrom“ gebraucht, hatte für München-Süd in einer Wahlkampfveranstaltung eine „asylantenfreie Zone“ gefordert.
Bürgerversammlung in Sendling. Dort können Bürger einmal im Jahr Anträge einbringen, deren Ergebnis als Stimmungsbarometer für den Bezirksausschuß und Stadtrat dient. Heinz Schwindler, von Anfang an Sprecher der BISSS, hat, wie immer bei offiziellen Anlässen, sein rotes Sakko angezogen. Er ist inzwischen der CSU beigetreten und hat um Stimmen für deren Rechtsaußen Peter Gauweiler geworben. Schwindler argumentiert routiniert und beantragt die Auflösung der Containerunterkunft. Auch Andrea Sailer meldet sich zu Wort: „Wir sind keine Monsterbewegung, sondern friedliche Bürger“, sagt sie, „manchmal fällt es uns schwer, weiterzumachen, aber die vielen ermunternden Stimmen machen uns immer wieder klar, daß wir nicht alleine sind.“ Sie stellt den Antrag, daß die Schmierereien vor ihrem Garten auf Kosten der Stadt entfernt werden. Beiden Anträgen stimmen die rund 300 Anwesenden mit absoluter Mehrheit zu. Gegen die Auflösung der Flüchtlingsunterkunft heben sich vier Hände.
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