: „Hebammen der Volkskirche“
Trotz des Gegenwinds aus dem Vatikan lebt die Befreiungstheologie weiter / Nur die Kleinarbeit religiöser Frauenorden erhält die Basisgemeinden in Brasilien am Leben ■ Aus Rio de Janeiro Astrid Prange
Schwester Maria José vom Orden der „Dienerinnen der Heiligen Dreifaltigkeit“ aus Rio de Janeiro ist unerschütterlich. Mag die befreiungstheologische Mode in Brasilien auch abgeklungen sein, so lebt die vor 25 Jahren entstandene progressive Bewegung innerhalb der katholischen Kirche doch weiter, sagt sie, auch wenn es Leute gebe, „die alles daransetzen, sie zu ersticken.“ Über zwei Drittel der rund 100.000 Basisgemeinden in Brasilien werden von Frauen geleitet. Die 30.000 Schwestern stellen in dem Kontingent der 45.000 Geistlichen in dem größten katholischen Land eine überwältigende Mehrheit. In den kleinen Orten im Landesinneren, wo der Pfarrer nur einmal im Vierteljahr eine Messe abhält, leiten sie eigenständig die Gemeindearbeit. „Die Mehrheit der Schwestern bekommt für ihren Einsatz kein Geld. Die Hälfte des Tages widmen sie sich der Gemeindearbeit, die andere Hälfte kümmern sie sich um ihren Unterhalt“, erklärt Maria José. „Sie spüren den Überlebenskampf des Volkes am eigenen Leib.“ Befreiungstheologe Leonardo Boff: „Die Schwestern sind einfach fantastisch! Sie sind die Hebammen der Volkskirche.“ Boff räumt ein, daß die Richtung der Befreiungstheologie sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Zwar verstünden sich ihre Anhänger immer noch als Anwälte der Armen, doch mittlerweile gehe es nicht mehr darum, die Gegensätze zwischen Arm und Reich, zwischen „Erster und Dritter Welt“ hervorzuheben, sondern die Befreiung im persönlichen Bereich anzustreben.
„Wir müssen das subjektive Empfinden und die spirituelle Dimension stärker einbeziehen, die Befreiungstheologie war zu intellektuell ausgerichtet“, meint Nevio Fiorin vom brasilianischen Institut für religiöse Studien in Rio. Und Marcio Araujo, Pressesprecher der brasilianischen Arbeiterpartei PT, führt die Flaute auf die systematische Bekämpfung der Strömung durch den Vatikan zurück: „Die Vertreibung von sozial engagierten Patern aus Elendsvierteln und die Neubesetzung von Schlüsselpositionen durch konservative Bischöfe hat die Bewegung geschwächt.“
Die brasilianischen Frauenorden arbeiten im Stillen weiter. „Wir versuchen, die ärmeren Bevölkerungsschichten davon zu überzeugen, daß es sich lohnt, für ihre Rechte zu kämpfen“, meint Schwester Maria José. Dazu gehöre der Aufbau von Nachbarschaftsräten, Bürgerinitiativen und Interessengruppen. Vor den Kirchenoberen, so Maria José, müßten die Schwestern ihre Arbeit jedoch manchmal geheimhalten, denn jede Form der Organisation werde mißtrauisch beäugt. Die mühselige Basisarbeit der ehrenamtlichen Ordensfrauen wird nicht nur von den männlichen, hauptamtlichen Würdenträgern erschwert. Der Boom der evangelischen Sekten insbesondere innerhalb der ärmeren Bevölkerung ist für die katholische Kirche zu einer bedrohlichen Konkurrenz geworden. „Die Gläubigen fühlen sich von den Versprechungen der Erweckungsgemeinden angezogen“, beobachtet Maria José. Doch die häufigen Enttäuschungen führten dazu, daß die Gemeindemitglieder die Kirche so häufig wechselten wie die Unterhose.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen