Frühes Prozeßende hat seinen Preis

Angeklagte im Kaindl-Prozeß wurden gestern aus der U-Haft entlassen / Am Dienstag wird das Urteil verkündet / Verteidiger Ströbele erinnert an politischen Hintergrund der Tat  ■ Aus Berlin Jeannette Goddar

„Die Rolle des Staatsschutzes wird im dunkeln bleiben“, konstatierte Verteidiger Rolf Stanke gestern in seinem Plädoyer im Prozeß um den Tod des Rechtsradikalen Gerhard Kaindl. Das sei der Preis, der für einen zügigen Prozeßverlauf vor dem Berliner Landgericht gezahlt werden müsse. In internen Absprachen haben sich Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft darauf geeinigt, die Beweisaufnahme zu schließen und den Prozeß schnell zu Ende zu bringen. Am kommenden Dienstag wird das Urteil verkündet – bereits gestern wurden alle Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen. Den Verteidigern wurde damit allerdings auch die Möglichkeit genommen, zu klären, wie die offensichtlich manipulierten Aussagen des Hauptbelastungszeugen Bazdin Y., die vor einem Jahr zu der Verhaftungswelle von Mitgliedern der türkisch-kurdischen Kreuzberger Gruppe „Antifasist Genclik“ (AG) geführt hatten, zustandegekommen waren. Abidin E., der mittlerweile freigesprochen wurde, hatte aufgrund dieser Aussagen elf Monate unschuldig in U-Haft gesessen. Y. sei vom Staatsschutz „instrumentalisiert“ worden, um eine „wahnwitzige Anklage“ zu konstruieren, erklärte Y.s Verteidiger Zuriel. Mit den Ermittlungen hätte die These belegt werden sollen, die vermeintliche „Terrorgruppe“ AG hätte einen Mord begangen.

Anstelle eines „gemeinschaftlich begangenen Mordes“ aus „politisch motiviertem Haß“, wie es die Staatsanwaltschaft im treuen Glauben an Y.s Aussagen in der Anklageschrift formuliert hatte, erwartet die Angeklagten jetzt nur eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung oder Körperverletzung mit Todesfolge. Für Mehmet R., Carlo B. und Seyho K., die gestanden haben, in der Nacht zum 4. April 1992 an dem Überfall auf ein Treffen von Rechtsradikalen in einem China- Restaurant beteiligt gewesen zu sein, beantragte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von vier Jahren, für die damals noch jugendlichen Fatma B. und Bazdin Y. Bewährungsstrafen von drei Jahren. Y. hielt die Staatsanwaltschaft dabei trotz allem zugute, daß er „ganz erheblich zur Aufklärung der Tat beigetragen hat“.

Die Verteidiger forderten, die Angeklagten nicht wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu verurteilen. Empört darüber, daß sie erfahren hatten, daß ein ausländischer Blumenverkäufer in einem Restaurant von „Republikanern“ beleidigt worden sei, seien die Jugendlichen spontan aufgebrochen, um die Versammlung zu sprengen. Daß einer aus der Gruppe, vermutlich der flüchtige Cengiz U., durchgedreht sei und Kaindl erstochen habe, sei nicht absehbar gewesen, so Zieger. „Wenn Widerstand gegen rechte Gewalt legitim ist, wie auch die Staatsanwaltschaft eingeräumt hat, was hätten sie denn machen sollen?“ Verteidiger Ströbele verwies auf den „Selbstschutzcharakter“ der Aktion. „Eine Polizei rufen, von der man weiß, daß sie selber Ausländer mißhandelt, und ihr erzählen, ein Blumenverkäufer sei beleidigt worden?“ Der Angriff habe auch stattgefunden, um die „Interessen derer zu wahren, die von rechtsextremer Gewalt bedroht sind und um zu verhindern, daß es in Kreuzberg bald so zugeht wie in der S-Bahn hinter dem Ostkreuz.“ Sein Mandant Mehmet R., neben Fatma B. der einzig verbliebene „Antifasist Genclik“-Aktivist im Gerichtssaal, setzte noch eins drauf: „Wir Immigranten werden nicht zulassen, daß Rassisten uns beleidigen. Deshalb werden wir uns schützen.“