Zorn setzte Fabrik unter Dampf

■ Ansonsten: Öffentlich-rechtliche Nettigkeiten beim Jazz-Fest

Also irgendwas stimmt da nicht, wenn man dreimal hintereinander von der Fabrik-Konzertschicht nach Hause kommt und eine zünftige Scheibe auflegen muß – und nur in einem einzigen Fall die eines Künstlers, von dem man live gerade eben nicht genug kriegen konnte. Wie war diese öffentlich-rechtliche Veranstaltung with a little help from Langnese, Steigenberger u.a. angetreten? Mit einem ziemlich Techno-verachtenden Editorial im Programmheft, das „...dann doch lieber eine Musik, die weniger friedlich ist und die nicht zusammengerührt wirkt wie der Fraß für die Schweine aus Abfällen der großen Hotels“ postulierte. Wie jetzt, Herr Naura?

Peinlich, daß zu diesem Gratis-Allgemeinplätzchen dann vorwiegend kalter Kaffee gereicht, will sagen über weite Strecken biedere Musik geboten wurde: Jazz for Mr. & Mrs. Studienrat. Wer nur einmal im Jahr ganz nach Altona pilgert, um sich Jazz live auszusetzen, beklatscht halt auch das brave Piano-Repertoire eines Lynne Arriale Trio (in dem bezeichnenderweise Bassist Drew Gress, der in anderen Bands tatsächlich jene „weniger friedliche Musik“ spielt, seine Brötchen verdienen muß) und gerät beim Solokonzert von Aziza Mustafa Zadeh natürlich in Verzückung. Die liebreizende Aserbaidschanerin setzt neben ihrer betörenden Stimme immerhin anderthalb Hände ein und weiß ihr beachtliches Potential auch wirkungsvoll zu dramatisieren. Wirklich zweihändig (und vielsagend und siebensinnig und mehrdeutig) ging beim verkappten Klavier-Schwerpunkt dieses Festivals allein Martial Solal zu Werke, der beim string-evening tags zuvor als Lückenbüßer für den unpäßlichen Herrn Ponty ins Programm gerückt war.

Der Samstagabend versprach zeitgenössische Spannung und etwas massivere Sounds. Doch das Buster Keaton-Programm von Bill Frisell & Co. erschöpfte sich in einer sittsamen Darbietung multimedialer Kleinkunst. Zu drei Stummfilmen des traurigen Komikers erklang – na, was wohl – beschauliche Musik: lauter kleine Nettigkeiten aus dem amerikanischen Schatzkästlein. Also blieb es dem „Masada“-Quartett von John Zorn vorbehalten, die Hoffnungen auf eine Breitseite Großkalibriges einzulösen. Und endlich stand die Fabrik unter Dampf! Zorns Altsax und die Trompete von Dave Douglas riefen den Geist von Ornette Coleman auf den Plan, Drummer Kenny Wollesen und Bassist Greg Cohen machten ihm Beine: kein neo-traditionalistisches Unterfangen, sondern die vitale Konfrontation mit einer noch lange nicht ausgereizten Radikalität im Jazz. Andreas Schäfler