„Im Sitzen reisen. Toll!“

■ Andreas Pröve: Mit dem Rollstuhl durch den indischen Subkontinent

„Die haben mich natürlich alle für verrückt erklärt.“ Andreas Pröve grinst, als sei die Sache gerade gestern passiert. Dabei liegt es nun schon zehn Jahre zurück, daß er das große Wagnis eingegangen ist. Sri Lanka durchquert, dann nach Indien – und zwar alleine. Seitdem lebt er davon, seine Reisedias einem Massenpublikum zu präsentieren. Am Mittwoch um acht ist er im Modernes, am 12.11. um acht im Konsul-Hackfeld-Haus. Nichts besonderes? Solche Dia-Shows gibt es doch massenhaft? Von wegen. Thomas Pröve sitzt im Rollstuhl.

„Alle haben mich für verrückt erklärt, na klar. Die Ärzte sowieso, und meine Freunde haben versucht, mir die mögliche Enttäuschung ein bißchen abzumildern.“ Aber Pröve hat sich getraut. „Dabei hab ich noch nichtmal gewußt, wie ich aus dem Flugzeug kommen sollte.“ Und wenn nicht? „Dann wär' ich halt mit der nächsten Maschine zurückgeflogen.“ Aber über die Behinderung will er eigentlich gar nicht reden, lieber über die Inder. Sechsmal war er inzwischen da, und das Land läßt ihn nicht los. Eine echte Liebe, vor allem zu den Menschen. Aber da sind sie schon wieder, natürlich, die Geschichten, die sich um seine Behinderung drehen. Denn genau die ist in den allermeisten Fällen der Grund, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. „Wenn ich reise, dann muß ich an jedem Tag –zig Leute ansprechen, daß sie mir helfen. Als ich noch Fußgänger war, hab ich längst nicht so viele kennengelernt.“

In der Motorrad-Lederjacke sitzt Pröve in seinem Rollstuhl. Ein Relikt aus alten Tagen. Dreizehn Jahre ist er her, der Unfall mit dem Motorrad. Den Beruf als Tischler mußte er sich danach abschminken, den Beruf als Technischer Zeichner ließ er ganz bewußt sausen: „Nach meiner Umschulung wollte ich reisen. Im Jahr vor dem Unfall war ich in Indien, und da wollte ich unbedingt wieder hin.“ So entstand der Plan, zuerst Sri Lanka zu durchqueren und dann nochmal einen kleinen Abstecher nach Süd-Indien zu wagen.

Zwei Wochen brauchte er von Küste zu Küste. Das ging viel besser, als alle Freunde prophezeit hatten. Was am besten war, neben allen Reiseabenteuern, die er – damals noch als Fotoamateur – festhielt: „Ich hatte da keinen Bonus, bei den späteren Reisen übrigens auch nicht. Die haben mich zuallererst als Touristen gesehen. Und wenn es drauf ankam, bin ich genauso beschissen worden wie andere auch.“ Einer, der besondere Hilfe braucht, viel mehr als zuhause, „da ist ja überhaupt gar nichts behindertengerecht“ – aber einer, der dort viel normaler gilt, als im satten Deutschland. „Man sieht dort viel mehr Behinderte als bei uns. Die werden nicht so weggeschlossen.“ Es ging erstaunlich gut, Präve war normaler, als gedacht, aber trotzdem: Welcher Fußgänger könnte sich vorstellen, beim Reisen in diesem Maße auf Hilfe angewiesen zu sein: Kein Zug, kein Bus, keine der dreirädrigen Höllengefährte, die man Auto-Rikscha nennt, die Pröve aus eigener Kraft besteigen könnte. „Manchmal war das schon abenteuerlich: Wenn ich an einem indischen Bahnhof über die Gleise mußte, vier Mann hieven mich vom zwei Meter hohen Bahnsteig, und dann immer die Angst, ob ein Zug kommt. Die können wegrennen!“

Aber jetzt geht es schon wieder um den Besondertouristen Pröve. Das will er überhaupt nicht, viel lieber von den Menschen reden. Zum Beispiel von dem Dorf, weitab von allem, wo er große Bewunderung geerntet hat. „Im Sitzen reisen, toll! Haben die zuerst gesagt. Die hatten tatsächlich noch nie einen Rollstuhl gesehen“. Oder in Pakistan, „da konnte ich mich vor Einladungen gar nicht retten.“

Als er von seiner ersten Reise wieder daheim war, zeigte er seine Dias zuerst seinen Freunden. Das zog Kreise. Dann tingelte er durch Rehakliniken und Krankenhäuser: Was alles geht, wenn man sich nur traut. Das zog noch viel größere Kreise. Und allmählich entwickelte sich Andreas Pröve zum Profi. In 15 Städten zeigt er in seiner diesjährigen Tournee seine Bilder, auf Riesenleinwand, mit sechs computergesteuerten Projektoren. Ein ziemlicher Aufwand. Einer, der ihm relativen Erfolg gebracht hat – bis zu diesem Jahr. „Genau als meine Tournee begonnen hat, kamen die ersten Meldungen von der Pest.“ Das Resultat: Die Deutschen fahren nicht mehr nach Indien, die Deutschen wollen am liebsten gar nichts mehr von dem Land sehen, und seien die Bilder auch noch so interessant, noch so schön. Und als die Nachrichten über die Pest nachließen, da wurden sie von denen über die Malaria abgelöst. „Das hat unheimlich reingehauen.“ Und die Konkurrenz auf dem Diaabendmarkt hat enorm zugenommen: „Jeder glaubt, er könnte das mal eben so machen.“ Es ist hart geworden, die Säle vollzukriegen.

Daß er im Rollstuhl sitzt, das kriegen die ZuschauerInnen erst im Saal mit. Auf den Tourneeplakaten kommt das nicht vor. „Ich will nicht, daß die Leute aus Mitleid kommen. Und ich will nicht, daß die Leute kommen und sagen, kuck mal an, für einen Behinderten nicht schlecht.“ Aber jetzt geht es schon wieder um seinen Rollstuhl. Dabei sollte es doch um die Menschen in Indien... Muß man halt hingehen. Jochen Grabler/ Foto: T.V.