Sie tun es für die Kids

„Roooock“, „Rck“ oder „Rrrrock“? Mit Melvins' Musik kann man es noch schaffen, die Eltern zu ärgern. Sie kommt aus den uralten Reservaten: Black Sabbath, Deep Purple oder Kiss, und in letzter Zeit auch viel von Queen  ■ Von Holger in't Veld

Lollapalooza – so nennt sich der alljährliche US-Kreuzzug der neuen MTV-Elite, ein Who's who der Jüngeren als Live-Veranstaltung, die sich wiederum als Alternative zum Busineß verkauft. „Für mich wäre es die Hölle, das konsumieren zu müssen“, sagt Buzz Osbourne, Kopf der Melvins. „Wenn sie cool wären, würden sie Slayer spielen lassen. Aber sie sind leider nicht cool.“

Die Melvins sind cool. Sie wollen Spaß, und sie arbeiten dafür. Die Melvins sind drei Menschen aus dem Nordwesten der Vereinigten Staaten – ja, sogar in Seattle, haben sie eine Zeitlang gelebt –, die seit 1984 den totgesagten Gitarrenrock dehnen und verkürzen, wahlweise Rooock oder Rck buchstabieren, aber auch Rrrrock.

Rrrrock, das sind die uralten Reservate, das sind Black Sabbath, Deep Durple, ZZ Top und Kiss – Namen, die Buzz Osbourne, seines Zeichens Ex-König der Independent-Kenner seiner Stadt, ohne Anführungszeichen in den Mund nimmt, zu denen er sich ganz problemlos bekennt – was für die meisten HörerInnen seiner Musik sicherlich befremdlich anmutet.

„Das ist persönlicher Geschmack. Das letzte, was ich die ganze Zeit hören möchte, sind Bands, die wie wir klingen. In der letzten Zeit habe ich viel Queen gehört. Mich inspiriert diese Musik dazu, sie zu verformen, in etwas anderes zu verwandeln, die interessanten Elemente daran weiterzuentwickeln.“ Osbourne, „King Buzzo“ genannt, ein rundlicher, kleiner Derwisch mit schwarzer Finger-in-der-Steckdose-Frisur, ist der Despot des Trios.

Auf der Bühne schaltet er seine Gitarre an sechs bis acht Verstärker und verfällt der Trance seiner Musik – die sich alles nimmt, was Rock je an Substanz und Kraft besaß und Standard und Pose überzeichnet, ironisiert oder schlicht und einfach vollkommen ignoriert.

Nichts an den Melvins deutet auf Verwandtschaft zu irgend jemandem, kaum eine aus solch konventionellen Elementen errichtete Ästhetik hat so wenig Entsprechungen.

Woran das liegt? Die Musik der Melvins wirkt gleichermaßen selbst erarbeitet wie von Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit beseelt. Sie läßt sich unglaublich viel Zeit und droht doch jeden Moment mit Eruption. Wann und ob diese kommt, weiß man nicht – es geschieht. Zähflüssige Verschiebungen, immer wieder wird mit Ritualen gebrochen, mit der Erwartungshaltung gespielt.

Das andere Moment der Melvins liegt bei Dale Crover. Mehr noch als King Buzzos Gitarrenspiel lebt seine Arbeit am Schlagzeug von Wucht und Sparsamkeit. Ebenso wie das zermürbende Halten eines Akkordes, weit über das konditionierte Rockmaß hinaus, waren zehnminütige „Drumsoli“ (die solcher Bezeichnung mit monotoner Trägheit spotten) mehrmaliger Bestandteil früherer Melvins-Alben.

Eine Mauer schwarzen, schweren, gelinde selbstgefälligen Humors, die Crover und Osbourne (wie auch ihr mittlerweile vierter Bassist Mark Deutrom) musikalisch wie auch im Gespräch vor sich herschieben. Unlängst ließen sie diesen Humor auf Tonträger völlig freien Lauf.

Unter dem Zaunpfahlpseudonym „Snivlem“ veröffentlichte das Trio puren Trash. „Prick“ bietet vierzig Minuten Geräuschcollage mit Radioweckerklang. „Wir tun es für die Kids“, beschwört Dale Crover, „dies ist die ultimative Platte, um deine Eltern zu ärgern.“

Zudem erfüllt dieser Bubenstreich, den die drei dank ihres ungewöhnlich freizügigen Industrievertrags bei einem US-amerikanischen Kleinlabel veröffentlichten, zwei andere wichtige Aufgaben: „Wir geben den Leuten, die uns wegen unseres Major-Deals Ausverkauf vorwerfen, einen vors Gesicht. Aber auch das nicht wirklich. Wir haben es getan, weil wir es können, und alle anderen können uns mal.“ Aus dieser produktiv- störrischen Grundhaltung heraus gründeten die Melvins unlängst auch ihr eigenes Label „Atlantis Records“, wo sie weitere Underground-Handlungen planen, sich allerdings zunächst einmal um die Fortführung der Vinyl-Pressungen eigener Werke kümmern.

So wird auch das „ordentliche“, das gute, satte, voll produzierte neue Album „Stoner Witch“ (Dale zufolge eine Bezeichnung jener minderjährigen Mädchen, die kiffen, rauchen und Ozzy Osbourne hören), welches dieser Tage bei Atlantic erscheint, parallel von Atlantis als Vinyl vertrieben.Und trotzdem sind die Melvins keine Vinyl-Sektierer.

Was sie mit der Masse teilen, ist ein Hang zur Technik, zur Produktion: größtmögliche Dynamik, langsames Nebeneinander, Reduzierung auf einzelne Elemente und natürlich gewaltige Wucht – wobei das neue Album schon ein wenig wie eine neu gemischte, mit einigen leichter zugänglichen Stücken versehene Zusammenstellung ihrer bisherigen Arbeiten wirkt.

Trotzdem ist es keinesfalls so, daß diese Band stagniert, es sind lediglich im Verlauf ihrer zehnjährigen Geschichte eine Vielzahl von Plagiaten verschiedener Gewichtung auf den Markt gekommen.

Die Melvins agieren und reagieren mit noch mehr Rock und neuen Elementen wie dem faszinierenden Stück „Lividity“, dem letzten der neuen LP. Dort übernimmt ausnahmsweise Bassist Deutrom den Flirt mit der Zeit und webt mit zarter Tiefe ein Ambiente-Gespinst, in das gegen Ende Crover wenige trockene Schläge fallen läßt. Zehn Minuten, keine Ausbrüche, keine Zugeständnisse. Freiheit macht Spaß.

Melvins: „Stoner Witch“ (Atlantic/East West)

Schon ganz bald auf Deutschlandtour: 29.11. Essen/Zeche Karl, 30.11. Berlin/Loft