Mit Pulvernahrung und Therapie-Mix

Allergie-Klinik in Bad Bertrich erzielt Erfolge bei der Neurodermitis-Behandlung  ■ Von Manfred Kriener

Mit einem schulmedizinisch neuen Therapiekonzept behandelt die Fachklinik für Allergie- und Umwelterkrankungen in Bad Bertrich Neurodermitis-Patienten. Auf Kortisoneinsatz wird gänzlich verzichtet. Der Therapiemix aus Spezialernährung, Antikörperdiagnostik, ökologischer Wohnraumsanierung und Psychotherapie zeigt erstaunliche Erfolge.

Fünf Millionen Menschen sind in der Bundesrepublik von der entzündlichen Hauterkrankung Neurodermitis (Juckflechte) betroffen. Tendenz: steigend. Versuche an Meerschweinchen belegen die Ursachen. Setzt man die Tiere Umweltchemikalien wie Ozon, Stickoxiden oder Tabakqualm aus, zeigen sie eine zehnfach höhere Sensibilisierung gegen Allergene als die in gesunder Luft gehaltene Vergleichsgruppe. Die Neurodermitis ist Ausdruck einer Abwehrreaktion des Immunsystems gegen allergene Stoffe. In den meisten Fällen kommt sie im Kindesalter zwischen zwei und fünf Jahren zum Ausbruch.

Entzündliche Rötungen der Haut und ein peinigender Juckreiz sind die bekannten Symptome. Häufig sind auch die Atemwege angegriffen, die Nase läuft, Asthmaanfälle können auftreten. In der Regel versuchen Patienten und Eltern, mit sogenannten Auslaßdiäten die Erkrankung in den Griff zu bekommen; problematisch erscheinende Nahrungsmittel werden weggelassen. Suchen sie darüber hinaus Hilfe, werden sie von unzähligen Ratgebern und Therapiekonzepten verwirrt.

Franz Deilmann, Chefarzt in Bad Bertrich, dagegen verwirklicht in seiner Klinik einen komplexen Ansatz. Das fängt beim ökologisch verträglichen, schadstofffreien Klinik-Mobiliar an. Spezial- Ionisatoren holen Schwebstoffe wie Pollen, Sporen und Stäube aus der Luft. Erste, bittere Therapiemaßnahme für schwererkrankte Patienten ist die „Hydrolysat“-Ernährung. Die Betroffenen erhalten in den ersten drei bis vier Wochen eine allergenarme, bitter schmeckende, vorverdaute Pulvernahrung, die alle notwendigen Nahrungskomponenten enthält. Bilden sich in dieser Zeit die Krankheitssymtpome zurück, beginnen die „Provokationstests“. Im Rhythmus von zwei Tagen wird das Immunsystem durch jeweils neu hinzugefügte Nahrungsmittel provoziert. Deilmann beginnt mit Zucchini und Auberginen, dann kommen allmählich Hafer, Buchweizen, Äpfel, Nahrungsfette und Fleisch dazu. Zeigen sich neue Krankheitssymptome, kommt das jeweilige Nahrungsmittel auf den Index.

Nächster Schritt ist die Antikörperdiagnostik. Mit Hilfe des „Radio-Allergo-Sorben-Tests“ werden im Blut des Patienten Antikörper gegen bestimmte allergene Nahrungsmittel und gegen Umweltchemikalien ermittelt. Der Test hat allerdings eine hohe Fehlerquote von 20 Prozent. Eine besondere Bedeutung hat das Verfahren dennoch, weil sich mit ihm Antiköper gegen Umweltgifte wie Formaldehyd, Isocyanate, PCP- haltige Holzschutzmittel, Pestizide wie Lindan oder Pyrethroide nachweisen lassen.

37,2 Prozent der Neurodermitis- Patienten waren in einer Studie von Stefan Berghem und Franz Deilmann antikörperpositiv auf Isocyanate, die vor allem als Weichmacher von Schaumstoffen in Teppichböden, Polstermöbeln und Autositzen verwendet werden. 27,6 Prozent hatten Antikörper gegen Formaldehyd im Blut, das bis zu 20 Jahre lang aus spanplattenhaltigen Möbeln ausgasen kann. Die Zusammenhänge sind allerdings komplizierter: Der Antikörpernachweis sagt noch nicht, daß die jeweilige Chemikalie auch direkt krankheitsauslösend war. Sie kann allerdings das sprichwörtliche Faß zum Überlaufen bringen, denn allergische Reaktionen sind auch ein Mengenproblem.

Mit der Suche nach allergenen Chemikalien beginnt ein weiterer wichtiger Bestandteil der Therapie: die Wohnraumsanierung. Die Patienten müssen detailliert über ihre häusliche Einrichtung Auskunft geben. Steht der Krankheitsausbruch im Zusammenhang mit der Neuanschaffung von Möbeln oder Teppichen, sind häufig die ausgasenden Chemikalien die Ursache. Das Problem für die Betroffenen: Die Wohnraumsanierung kann teuer werden. Deilmann kennt den Fall einer Holzschutzmittelvergiftung, bei dem die Betroffenen nicht nur ihr halbes Haus abreißen, sondern die abmontierten Teile auch noch als Sondermüll teuer beseitigen lassen mußten.

Fünfte Säule der Therapie ist die psychische Betreuung der Patienten und ihrer Familien. Dabei geht es nicht nur um den seelischen Knacks des chronisch Kranken, der sich häufig entstellt und häßlich fühlt und wegen des Juckreizes an Schlafstörungen leidet. Meist ist die gesamte Familie, an erster Stelle die Mutter, überfordert. Psychischer Streß – auch dies haben Untersuchungen gezeigt – kann den Krankheitsverlauf erheblich verschlimmern. Deilmann glaubt indes nicht, daß er allein als Ursache in Frage kommt.

Mit seinem Therapiemix hat der Allergologe und Kinderarzt gute Erfolge. Bilanz: Ein Jahr nach Therapiebeginn bezeichneten 30 Prozent der Befragten ihren Zustand als „sehr gut“, 35 Prozent als „gut“ und 28 Prozent als „zufriedenstellend“.