■ Heym, Gysi, Bisky – die Pose der verfolgten Unschuld
: Umdeutungen

Das schönste an der DDR war die Phantasie ihrer Bürger und Funktionäre. Fischlokale hießen meist lyrisch „Gastmahl des Meeres“, ein mit Stacheldraht und Tretminen bestückter Grenzstreifen „antifaschistischer Schutzwall“ und schlichtes Grünzeug „Gemüsevariationen“. Manfred Dietel, „Generalmajor der Stasi, 40 Dienstjahre“, bezeichnet sich heute als „neuen Juden in der Bundesrepublik Deutschland“. Der PDS-Vorsitzende Lothar Bisky vergleicht das Schicksal der DDR-Bürger mit jenen der deutsch-jüdischen Flüchtlinge, „die in eine neue, unbekannte Welt geraten sind und denen großes Unrecht widerfährt“. Daß die deutschen Juden vor einem totalitären Staat nach Amerika flüchteten, die DDR-Bürger aber 1989 ihren totalitären Staat loswurden – geschenkt. Der Bundestagsneuling Stefan Heym versteigt sich sogar zu der luftigen These, die Stasi-Vorwürfe gegen Gregor Gysi ließen darauf schließen, daß es „offenbar Leute gibt, die einen neuen Fall Dreyfus schaffen wollen“. Und wer Gysi fragt, ob er als Anwalt im Dienst seiner Mandanten stand, oder aber im Dienst von ZK und Stasi, dem zieht Heym die Antisemitismuskeule über den Kopf: „Ich kenne das Risiko für einen Juden, der sich in Deutschland an die Öffentlichkeit wagt. Das ist lebensgefährlich.“ Die jahrzehntelange Versorgung von PLO-Terroristen mit DDR-Waffen, die in der Tat für Juden lebensgefährlich war, hat Heym offensichtlich schon vergessen – oder sie hat ihn nie gestört? So wie die Mauer zum Schutzwall gegen den Klassenfeind umgebogen wurde, machen sich die Vertreter der SED-Nachfolgepartei jetzt zur verfolgten Unschuld. Für solch gehobene Ansprüche hanebüchener Geschichtsverdrehung reicht dem geschulten Dialektiker eben nur noch der Vergleich mit Antisemitismus und Judenverfolgung. Sylke Tempel

Freie Journalistin