Käsebier erobert Bremen

■ Gabriele Tergit, Gerichtsreporterin der Weimarer Zeit, wird in einer Ausstellung wiederentdeckt

Was hat das zehnjährige Jubiläum der Journalredaktion von Radio Bremen mit den 20er Jahren zu tun, was zudem mit einer Berliner Schriftstellerin und Journalistin? Nun, immerhin verschaffte Gabriele Tergit 1927 als Gerichtsreporterin der Stadt Bremen über lange Wochen Schlagzeilen in den größten deutschen Blättern. Das war Politikern und Hofschranzen gar nicht recht, zumindest jenen nicht, die in den „Sittlichkeitskandal“ um eine Prostituierte involviert waren.

Tatsächlich entsprach der Fall Kolomak nicht dem, was eine gute Städtewerbung ausmacht. Doch Gabriele Tergit hatte noch nie etwas von Reklame gehalten. Das wußte man in Deutschland spätestens, nachdem 1931 ihr Buch „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ erscheinen war: Es erzählt die Geschichte des von Geschäftemachern und ehrgeizigen Journalisten hochgelobten Berliner Volkssängers Georg Käsebier, der nach einer kurzen Saison wieder in der Versenkung verschwindet. Was als leichter Unterhaltungsroman daherkommt, entpuppt sich als bissig-sozialkritische, das Gold der 20er zersetzende Bestandsaufnahme jener Zeit.

Gabriele Tergit folgte dem sanften Drängen von Gertrud Bäumer, – neben Hilde Walter die führende Vertreterin der deutschen Frauenbewegung –, als sie 1915 mit 21 Jahren ihren ersten Zeitungsartikel schrieb. In der Nacht vor Erscheinen ihres Textes plagte sie nackte Veröffentlichungsangst: „Ich erkannte, daß ich zu wenig wußte und faßte deshalb den Entschluß, mein Abitur zu machen und zu studieren.“ Später würde sie behaupten, ihre Jugend umsonst mit der Promotion verdorben zu haben, doch die Ausbildung zur Historikerin hinterließ in ihrem Werk tiefe Spuren.

Als Gerichtsreporterin des „Berliner Börsen-Courier“ und des „Berliner Tageblatt“ beobachtet sie Mitte der 20er die Fememordprozesse aus dem Umfeld der „schwarzen Reichswehr“, sie berichtete in der „Weltbühne“ über die Totschlagpraktiken der SA. Mit spitzer Feder schreibt sie Sie auch Feuilletons über „Berliner Existenzen“, Reiseberichte und kleine Glossen zum alltäglichen Berliner Wahnsinn. „Jetzt kennen wird diese jüdische Fresse endlich auch“, kommentiert 1931 Goebbels ein Foto der Autorin in der Zeitung. Am 4.3.1933, ihrem Geburtstag, versucht die SA, ihre Wohnung zu stürmen. Am nächsten Tag packt Gabriele Tergit ihre Koffer und flüchtet über die damalige Tschechei nach Palästina. 1938 siedelt sie nach London über, schreibt für vornehmlich deutschsprachige Zeitungen und arbeitet an ihrem neuen Roman „Effingers“. Doch als diese Chronik einer jüdischen Familie 1951 erscheint, ist klar, daß das deutsche Volk damit nicht behelligt werden will. Erst 1977 wird die mittlerweile 83jährige Birgit Tergit, die in London das Amt des Pen-Sekretärs innehat, in Deutschland literarisch wiederentdeckt. Der Käsebier, die Effingers und andere Bücher werden wieder in die Verlagsprogramme genommen, ihre bissigen Glossen, ihre Feuilletons und Gerichtsreportagen nachgedruckt. Unter dem von ihrem Kollegen Rudolf Olden geprägten Titel „Etwas Seltenes überhaupt“ erscheinen ein Jahr nach ihrem Tod ihre Lebenserinnerungen.

„Atem einer anderen Welt“ heißt ein soeben veröffentlichtes Buch mit Werken der Autorin. Herausgeber ist der Berliner Publizist Jens Brüning, der Gabriele Tergit noch persönlich kannte. Er zeichnet auch verantwortlich für die gleichnamige Ausstellung, die die Journalredaktion von Radio Bremen anläßlich ihres Jubiläums initiierte. Warum, erklärt Redakteur Gerald Sammet: „Birgit Terwig wäre in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden, ihre Geschichten aber haben wenig an Aktualität eingebüßt.“

Die Ausstellung, die Artikel zeigt, Bücher, Teile von Briewechseln sowie Fotos aus dem Berufs- und Privatleben der Schriftsstellerin, ist bis zum 16.12. im Staatsarchiv zu sehen. Das Begleitprogramm sieht für den 1.12. eine Podiumsdiskussion vor zum Thema „Erlaubt ist eigentlich alles – Wieviel Medienfreiheit vertägt die Demokratie?“ Am 8.12. rekonstruiert Elisabeth Meyer-Renschhausen den Fall Kolomak. Er wird sicher auch heute für Aufregung sorgen, denn wie sagte Gabriele Tergit: „ „Erst kommt die Moral, dann das bemalte Porzellan.“ Dora Hartmann