■ Normalzeit
: Bei Kuttner rufen nur Trottel an

Die Kneipenunterhaltungen im sogenannten Ostteil der Stadt ähneln einander. Irgendwann – zum Beispiel neulich im „Zosch“ – geht es unweigerlich um Kuttner. Die einen finden die Sendungen des quirligen Stars des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB), der sich immer wieder beklagt, daß fast nur Idioten bei ihm anrufen würden, „scheußlich“. Eben weil nur selbstdarstellungssüchtige Deppen mit ihm telefonieren würden. Daß sich nur „Trottel“ an Kuttner wendeten, liege in der Natur der Sache, und „es wird immer schlimmer“.

Der ORB plane zum Beispiel gegen Jahresende Kuttner-Masken auf den Markt zu werfen. Viele, wie der Filmemacher Gerd Kroske („Brest“), halten jedoch auch weiterhin zu dem „ORB- Aushängeschild“ (Spiegel, SZ, taz) und haben sein Porträt über ihren Schreibtisch gehängt.

Die Null-Uhr-Kuttner-Geschichte, die Kroske erzählte, war allerdings auch sehr überzeugend. Da berichtete eine junge Frau von ihrer Methode, nette Männer aufzureißen. Sie fahre also regelmäßig durch die Gegend und stupse mit ihrem Auto vielversprechend aussehende Radfahrer an. Den Gestürzten nähere sie sich hilfreich und freundlich. Sehr schöne Freundschaften seien so schon entstanden; ab und an käme es allerdings auch vor, daß der gestürzte Radfahrer von vorne plötzlich blöd aussehen würde. Das sei dann ziemlich peinlich.

Kuttner selbst läßt sich übrigens nur noch selten in Kneipen sehen. Er wird auch immer blasser. Seine Sprecharbeit frißt ihn auf.

Das zweite angesagte Thema in den Kneipen in Mitte ist die in ganz Berlin um sich greifende, nahezu groteske Geschmack- und Stillosigkeit der Kneipeneinrichtungen, die stets nach dem gleichen Muster abläuft. Sobald eine Kneipe also halbwegs gut läuft, wird sie renoviert; mehr oder weniger teure Designerstühle, -tische und -spiegel werden angeschafft, die Wände werden mit Wasserfarben getüncht usw. Mit jeder Renovierung wird die Kneipe prinzipiell scheußlicher. Ausnahmslos.

Paradebeispiel der Zerstörung durch Renovierung ist das „Café Westphal“ in der Kollwitzstraße. Es gibt auch noch schlimmere Kneipen, die allerdings, wie das „Café Silberstein“, schon immer gräßlich waren.

Zuweilen ist auch von anderem die Rede – Heym, den Grünen oder dem studentischen Alltag der „Berliner Journalistenschule“, von dem mir neulich im „Zosch“ ein Insasse der Schule berichtete. Dieser Alltag bestehe vor allem aus Referaten mehr oder weniger zuweilen grotesk redeunkundiger Redakteure.

Häufig sei das sehr amüsant. Der Auftritt eines Berliner Zeitung-Redakteurs sei beispielsweise abrupt von seinem piependen „Handy“ unterbrochen worden. Herr Böhme war am Apparat.

„Komisch“ sei auch gewesen, daß der Chef vom Berliner Kurier neulich über „journalistische Ethik“ referiert hätte. Kritischen Fragen nach der Ethik der Boulevardzeitung sei er mit einem „Bild ist noch viel schlimmer“ begegnet. Eine Bild-Referentin habe zu bedenken gegeben, daß es „früher“ bei Bild „noch viel schlimmer“ gewesen sei. (Im übrigen haben neuere Leseranalysen herausgefunden, daß Bild inzwischen vor allem von SPD- Wählern gelesen wird.) Ein Journalismusschüler, der die Polizeiredaktion der Bild-Zeitung besucht hatte und empört war über den laxen Umgang mit Personendaten, sei von Polizeiredakteur Sandmann (!) mit schulterklopfend-kollegialem Grinsen und einem: „Der Datenschutz ist der größte Feind des Journalismus“ angeschleimt worden.

Heiter war auch die Geschichte von einem Journalismusschüler, der sich bei der FAZ um ein Praktikum beworben hatte. Als Eignungstest habe der also eine Reportage über die FDJ gemacht. Ein Fotograf fotografierte ihn, wie er mit FDJlern sprach. Ein paar Wochen später habe er nun sein Foto in der FAZ gefunden. Unterschrift: „Linksextremisten in Deutschland“.

Zunächst wollte er klagen. Dann ließ er's doch und bekam einen Praktikumsplatz, 1.700 Mark im Monat und eine unentgeltliche Wohnung in Frankfurt. Detlef Kuhlbrodt