■ Freya Klier schreibt einen offenen Brief an Gregor Gysi
: Sehr geehrter Herr Gysi,

darf ich Sie daran erinnern, daß Sie es sind, der Bürgerrechtler vor Gericht zerrt, um sie mundtot zu machen – und nicht umgekehrt? Daß auf meinem Tisch Ihre gerichtlich abgesegnete 500.000-DM- Drohung liegt ... und nicht umgekehrt? Ihre Klagewut hat mittlerweile einen Stand erreicht, gegen den die Funktionäre von VIP und Scientology die reinsten Erstkläßler sind. Zur Klarstellung für alle, die Sie zum Mitweinen bewegen wollen: Hassen, Jagen und In-den Abgrund-Treiben sind Begriffe aus Ihrem Wortschatz, sind Keulen aus dem Arsenal eines neuen PDS- Szenariums, das Sie – seit die Beweislast gegen Sie erdrückend geworden ist – nun zum Kampagnen- Opfer zu drechseln versucht!

Die Schamlosigkeit, mit der Sie und Ihre Genossen sich nach dem Sturz und Namenswandel Ihrer Partei auf sämtliche Inhalte setzten, wofür deren Protagonisten noch Monate zuvor in den DDR- Knast wanderten, war schon atemberaubend. Der Imagewechsel von der SED zur PDS nicht minder: Stramme FDJ-Sekretärinnen peppten sich plötzlich zur frischen Linken auf, Markus Wolf sich zum softigen Schriftsteller herunter, die miesesten Spitzel mutierten zu Menschenrechtlern ...

Die frappierendste Metamorphose allerdings vollzogen Sie, Herr Gysi: vom privilegierten Bonzensohn mit Villengrundstück im feinen Buckow zum linken Vorkämpfer, der eine bescheidene Berliner Wohnung präsentiert... Vom Werkzeug einer beinharten Unrechtsjustiz zur personifizierten Opposition gegen den Stalinismus... Abrakadabra – es hat geklappt! Eine brillante Leistung, Herr Gysi, ich würde Sie jederzeit als Schauspieler engagieren, doch geben Sie nicht auch noch die Rolle des Märtyrers!

Nein, wir wollen Ihre Persönlichkeit nicht zerstören, wie Sie seit neuestem publikumswirksam jammern – wir wollen sie endlich offenlegen! Und keine Ihrer Lügen mehr durchgehen lassen: Wieso behaupten Sie, wir hätten jenes Dokument, das Sie angeblich als „stasiuntauglich“ kennzeichnet, auf der Pressekonferenz am 28. 10. 94 unterschlagen, da es uns nicht ins „Konzept“ passe? Ihre Genossen waren doch auch da, wie wäre es also zur Abwechslung mal mit der Wahrheit? Abgesehen davon, daß in jeder der zum Mitnehmen ausliegenden Mappen die vollständige Dokumentenlage zur IM-Gregor/Notar/Sputnik-Geschichte vorhanden war, habe ich selbst genau dieses Dokument der Öffentlichkeit vorgestellt, und zwar samt Maßnahmeplan der Staatssicherheit und Erläuterung des strategischen Hintergrundes!

Denn mit Ihrer „Opfer-Legendierung“ stehen Sie ja nicht allein, Herr Gysi – die teilen Sie mit anderen hochkarätigen Anwälten. Beispielsweise mit meinem Rechtsanwalt Schnur – der war ein noch eifrigerer Spitzel. Auch für diesen feinen Anwalt wurde ein enttäuschender Operativvorgang angelegt. Und auch diese „Legendierung“ liest sich, als sei Schnur der reinste Regimekritiker gewesen...

Zuversichtlich bin ich, daß ein bundesdeutsches Gericht die Wahrheit herausfinden wird. Denn Ihr Hamburger Schnellverfahren (eine Methode, mit der bereits Herr Kant Reiner Kunze zum Schweigen gebracht hat und Herr Diestel Henryk Broder – pikanterweise ebenfalls in Hamburg) ist nicht der letzte Richterspruch. Wir kuschen nicht vor Geldsäcken, und wenn sie noch eine halbe Million drauflegen. Wir kuschen nicht vor Geldsäcken, auch wenn sie sich „links“ gebärden!

Die Akten also dem nächsthöheren Gericht anheim. Lassen Sie uns noch einmal in der Asche jener reaktionären Diktatur stochern, aus der Sie plötzlich als linker Phönix aufstiegen. Kippen wir die DDR-Geschichte und Ihre Rolle darin, Herr Gysi, vom Wahlkampf wieder zurück auf die Füße. Denn daß Sie nicht nur ein Blender sind, sondern auch ein blendender Rhetoriker, der erfolgreich Scheiße zu Bonbons umzuinterpretieren vermag und rechts zu links, das haben Sie bewiesen. Erbarmungslos haben Sie sie uns vorgeführt, diese West-Deppen, die nur das Stichwort „links“ brauchen, um zu hecheln: Die Autonomen, die (ganz im Gegensatz zu Skinheads) gerade von Ihren Parteigenossen den Knüppel als erstes auf den analysefreien Schädel kriegten und nun deren „linkem“ Repräsentanten an den Lippen hängen ... Der arme Körperbehinderte, der im Westen mal als mutig galt und nun seinen Rollstuhl vor den Karren einer Partei spannt, der Rollstuhlfahrer nie eine Schräge wert waren, weil die zum „nichtproduktiven Teil der Bevölkerung“ zählten. All die Schwulen und Lesben, die es unter Ihrer Partei gar nicht geben durfte und die nun verzückt an Ihren linksdrechselnden Worten hängen...

Deren Blödheit müssen wir verschmerzen, nicht aber Skrupellosigkeit, mit der Sie die Ostler täuschten (wenn auch nur ein Fünftel, das ist schon zuviel). Denn haben nicht Ihre Genossen, während Sie sich – mal mit Diestel, mal ohne – zum Matador für Ost-Interessen aufschwangen, klammheimlich Volksvermögen beiseite geschafft? Laut Jahresbericht der ZERV (Zentrale für Regierungs- und Vereinigungskriminalität) von 1993 haben Genossen von SED, Staatssicherheit, FDJ und FDGB in der kurzen Amtszeit Ihres PDS- Ehrenvorsitzenden Modrow einen Batzen beiseite geschafft, der mittlerweile mit 26 Milliarden (!) Mark veranschlagt wird, geflossen in alle möglichen Kanäle, von Hamburger Kommunisten bis zum Rechtsradikalen Schirinowski, arbeitend, sich vermehrend und rückfließend. Darf ich Sie daran erinnern, Herr Gysi, daß dieses Geld nicht von Ihrer Bonzen-Clique erwirtschaftet wurde, sondern von der arbeitenden Bevölkerung der DDR, und zwar unter erschwerten Bedingungen? Das mit dem Geld, das haben Sie auf all Ihren Wahlkampfreden offenbar vergessen ... Vergessen auch die 2.800 GmbH-Gründungen in Ostberlin, von denen laut ZERV klägliche 300 unverdächtige Firmengründungen sind, sich hinter dem massiven Rest aber SED, Staatssicherheit, FDJ und FDGB verbergen. Aus Versehen vergessen? Hohe FDJ-Funktionäre sind plötzlich Millionäre, hauptamtliche Stasi-Leute erfolgreiche Immobilienmakler – nie etwas davon gehört, Herr Gysi?

Ach ja, und die Treuhand – kaltblütig, kolonialisierend, eben der Westen. Da ist durchaus was dran, obwohl hier mildernd zu berücksichtigen ist, daß die wieder auf die Beine stellen muß, was Ihre Partei in den Dreck gefahren hat. Die Treuhand war stets eines Ihrer Lieblingsthemen, damit ließ sich der Ost-West-Keil trefflich treiben. Doch nie habe ich aus Ihrem Mund gehört, daß da massenhaft auch Ostbonzen mitmischen, in Potsdam gar bis zur Hälfte des Personals ... Wovon wollten Sie mit Ihren stets Richtung Bonn geschleuderten „linken“ Attacken ablenken – davon, daß niemand besser den Kapitalismus begriffen hat als Sie und Ihre SED ... pardon, PDS? Wenn gerade Sie von Arbeitslosen reden, steigt mir die Schamröte ins Gesicht.

Wenn Sie die Vollbeschäftigung in der DDR preisen, erreicht Zynismus seinen Höhepunkt: In der DDR bestimmten die Genossen einer Partei, in der Sie, Herr Gysi, immerhin Parteisekretär waren, über ihr totalitäres Berufsverbot den Arbeitsplatz – die Arschkriecher und Speichellecker nach oben, die wurden in die Synthesis gehievt ..., wer jedoch gegen die Zerstörung der Umwelt rebellierte, gegen Rüstungswahn und permantene Verletzung von Menschenrechten, flog flächendeckend aus jeder höheren Bildung raus.

Ja, Arbeitsplätze hatten wir reichlich ... weil die Staatssicherheit (in der es für Sie immerhin bis zu drei Decknamen gab) im Lauf der Jahrzehnte drei Millionen Arbeitskräfte aus dem Land geekelt hat. Um die durfte sich dann der Westen kümmern, während Ihre Partei den Igel spielte, der „Wir sind bei der Vollbeschäftigung angekommen!“ rief. Und warum verschweigen Sie, daß Ihre Partei in realitas den Wunschtraum jedes Rechtsradikalen erfüllte, ein Deutschland völlig ausländerfrei zu halten? Wäre es nicht ehrlicher, den Schönhubers Info-Seminare anzubieten, wie man das macht?

Doch halt, ganz so ausländerfrei waren wir am Ende doch nicht: Dank dem Rausekeln von Millionen von Arbeitskräften herrschte im letzten Jahrzehnt ja eher Arbeitskräftemangel – also her mit einigen zehntausend asiatischen und afrikanischen Arbeitsknechten! Man nahm ihnen den Paß ab, untersagte ihnen den beliebigen Zutritt zu deutschen Gaststätten, das Verlassen der Stadt ohne polizeiliche Genehmigung, die Frauen stellte man gleich unter Abtreibungszwang. Geht es rechtsradikaler, Herr Gysi? Mit Ihrer Links- Tünche haben sie diese Wahrheit zugekleistert, haben Ihre Partei quasi über Nacht zur ausländerfreundlichsten, umweltschonendsten, rüstungsabholdesten und überhaupt oppositionellsten Partei Deutschlands umgestrickt – die Linkeste unter den Linken ...

Auch das ist ein Grund, warum ich meine, Sie haben in Bonn nichts zu suchen: Sie sind ein Lügner, ein Demagage – der Gefährlichste unter den Rechten, weil Sie zu Ihrer Tarnung skrupellos die „Links“-Maske nutzen.

Schauen Sie in den Osten, Herr Gysi: Die rassistischen Gewalttaten liegen in Ostberlin und Umgebung um das Achtfache höher als im eisekapitalistischen Westberlin. Es sind (bevor Sie wieder alles auf Bonn abschieben) die Erziehungsprodukte Ihrer Partei, die dort Ausländer aus S-Bahnen stoßen und alles Schwächere zusammennieten. Gäbe es da nicht für Sie eine Menge Basisarbeit? Auch stören sich die Skinheads kaum an IM-Biographien, die kommen ja oft selbst aus hochrangigen Elternhäusern. (8. 11.)

Gysis Text „Sie jagen mich“ erschien in der taz vom 4. 11.; eine erste Antwort von BürgerrechtlerInnen folgte am 11. 11.