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■ Die Koalition verständigte sich auf einen „Kompromiß“ und öffnete ein Türchen zur doppelten StaatsbürgerschaftAn und zu sich

Zu Zeiten des Obrigkeitsstaates waren wir alle Landeskinder und gehörten der Staatsfamilie an, der der Fürst, der Pater familias, vorstand. Wer kein Angehöriger war, später dazugekommen war, etwa als Zugereister (bayrische Lesart: „Zuagroaster“), blieb Fremder, bis er kraft Einbürgerung zwar nicht Eingeborener, aber doch Staatsfamilienangehöriger wurde. Er wurde zu dem an sich schon bestehenden Verband zugelassen. Von dieser eindeutigen Ortsbestimmung der Präfixe ausgehend, regelte der Deutsche Reichstag 1913 die Fragen der Bürgerschaft im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz. Für das zu bestand kein Verwendungsbedarf, es durfte nur den Zuzug der Zugereisten regeln.

Eine bescheidene Aufwertung erzielte im Rahmen der sozialliberalen Reformkoalition das zu zwar nicht im Staatsangehörigkeits-, wohl aber im Familienangehörigkeitsrecht. Das Institut der Zugewinngemeinschaft regelte die Rechte der Ehegatten an dem Vermögen, das von den Partnern über das an sich schon bestehende Vermögens jedes der Partner zum Zeitpunkt der Eheschließung hinaus aufgehäuft wurde. Da der Reformimpetus bald verbraucht war, unterblieb die Übertragung des zu auf das Staatsangehörigkeitsrecht. Diese Änderung lag insofern nahe, als die Staatsfamilienbande sich zu lockern begannen, das zu, unverbindlicher und pluralistischer, wie es nun mal war, besser das Verhältnis des einzelnen zur Staatsnation hätte ausdrücken können.

Jetzt endlich, im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen, kommt das zu auch im Staatsbürgerrecht zum Zuge. Die Staatszugehörigkeit sollen alle ausländischen Kinder erhalten, deren Eltern seit zehn Jahren in Deutschland leben. Unter der Voraussetzung, daß ein Elternteil in Deutschland geboren wurde. Diese Zugehörigkeit soll sich mit der ursprünglichen (zum Beispiel türkischen) Angehörigkeit nicht beißen. Die Neuerung birgt für das Kind den ungeheuren Vorteil, sich jetzt „Deutscher nennen zu dürfen“, wie in der Begründung verlautete. Angesichts dieser identitätsfördernden Maßnahme fällt es nicht weiter ins Gewicht, daß die Kinder aus diesem Zugewinn so gut wie keine Rechte ableiten können. Ihr neuer Status bewirkt nicht einmal, daß ihre Eltern ungehindert ihren Erziehungspflichten nachkommen können, also vor Abschiebung geschützt sind.

Dabei könnten die angedeutschten Kleinen, falls sie sich bis zum 16. Lebensjahr gedulden, schon jetzt nach Artikel 85 Ausländergesetz in den Genuß der vollen staatsfamiliären Angehörigkeit kommen, falls sie strafrechtlich nicht „auffällig“ wurden, fleißig die Schule besuchten und sich acht Jahre in unserem Deutschland aufhielten. Von diesen Kleinigkeiten abgesehen, besteht der Haken der Regelung allerdings darin, daß die Prätendenten ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit aufgeben mußten. Jetzt dürfen sie sie behalten und sich außerdem noch in dem Schein sonnen, Deutsche zu sein. Zu, aber nicht an sich. Christian Semler

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