: Jun Jin völlig allein gelassen
■ Bayerns CSU-Innenminister Beckstein löst keines seiner Versprechen für den abgeschobenen 16jährigen Chinesen ein
Nürnberg (taz) – Alle Versprechen des bayerischen Innenministeriums für den abgeschobenen chinesischen Asylbewerber Jun Jin zerplatzten auf dem Flughafen in Peking wie eine Seifenblase. Jun Jin wurde entgegen vorheriger Zusicherung weder von seinem vermeintlichen Vater noch von der deutschen Botschaft abgeholt. Auch für eine „adäquate Unterbringung“ wurde nicht gesorgt. „Mir geht es hier ganz schlecht“, schreibt Jun Jin aus der Provinz Zhe Ziang, wo er von seinem letzten Geld ein kleines Zimmer gemietet hat. Am 20. Oktober war er mit einem Minderjährigenheimreiseschein über Moskau nach Peking abgeschoben worden – mit einem offiziellen Reisedokument, das ihm das Alter von 16 Jahren bestätigt.
Vor rund einem Jahr kam Jun Jin von den Niederlanden, wohin er illegal mit seinem Vater eingereist war, in die BRD. Der Vater hatte sich in den Niederlanden von ihm abgesetzt. Ein Freund des Vaters brachte Jun Jin über die Grenze. Seitdem lebte er in Mittelfranken in einem Kinderheim und besuchte die Schule. Als sein Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde, verfügte das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen die sofortige Abschiebung: „Wenn wir den jetzt hierlassen bis er 18 ist, kriegen wir ihn überhaupt nicht mehr raus.“
Es folgte ein Sturm der Entrüstung. Zum ersten Mal wäre damit ein unbegleiteter Minderjähriger in die Volksrepublik zurückgeschickt worden. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) lehnte eine Duldung aus humanitären Gründen strikt ab, sicherte aber zu, daß vor einer Abschiebung sichergestellt sein müsse, daß „der Jugendliche in China adäquat untergebracht oder von Verwandten am Flughafen abgeholt“ werde. Kurz vor dem Termin zog Beckstein zwei Trümpfe aus dem Ärmel: Jun Jin sei 19 Jahre alt und sein Vater sei in Shanghai gefunden worden. Er warf dem Chinesen vor, durch falsche Angaben im Asylverfahren 60.000 Mark Kosten verursacht und die Hilfsbereitschaft vieler Menschen „schamlos ausgenutzt“ zu haben.
Jun Jin beharrte zwar darauf, daß er erst 16 Jahre sei und daß sein Vater anders heiße, als der vom Innenministerium ausfindig gemachte. Ein Telefonat zur Klärung der Widersprüche lehnte Beckstein jedoch wegen „technischer Probleme“ ab. Statt dessen schob man Jun Jin mit einem von der chinesischen Botschaft in Bonn ausgestelltem Minderjährigenheimreiseschein nach Peking ab. Als Geburtsdatum von Jun Jin ist auf dem Dokument der 3. Juli 1978 vermerkt.
Was Jun Jin in China erwartet, ist unklar. Zum Asylverfahren eines anderen Chinesen gab das Auswärtige Amt gegenüber dem Verwaltungsgericht in Ansbach am 2. November 1994 die Stellungnahme ab, daß es nicht auszuschließen sei, „daß dem minderjährigen Kläger bei Rückkehr nach China wegen illegaler Ausreise Umerziehungsmaßnahmen widerfahren würden“. Bernd Siegler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen