Ausländer bleibt Ausländer

Die von der Koalition geplante „Schnupper-Staatszugehörigkeit“ für Kinder von ImmigrantInnen ruft bei türkischen Initiativen bundesweit Empörung und Verärgerung hervor  ■ Aus Berlin Annette Rogalla

Im Oktober hatte die FDP noch groß in türkischen Tageszeitungen annonciert. Wenn sie, die lieben ausländischen MitbürgerInnen in Deutschland wählen könnten, würden sie doch sicher die Liberalen wählen, denn: „Wir setzen uns für die Rechte der Immigranten ein“. In anderen Anzeigen versprach Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ausdrücklich die doppelte Staatsbürgerschaft.

Die Wahlen sind vorbei, aus Versprechen wurden oberflächliche Kompromisse. „Schnupperstaatsbürgerschaft“ bis zum 18. Lebensjahr sollen den Duft des Deutschseins verbreiten. Kinder, deren Eltern seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben, können nicht die Staatsbürgerschaft, sondern eine Art ungeschützte Zwitterstellung, die Staatszugehörigkeit erhalten. Mit diesem Papier entfallen bei Reisen ins Ausland eventuelle Visa, die zum Beispiel Österreich für Türken vorschreibt.

Für diese halbherzige Quasigleichsetzung mit „echten“ Deutschen findet die türkische konservative Zeitung Hürriyet lobende Worte. Es sei „ein Schritt nach vorn“, kommentiert sie und gibt leider die beabsichtigte Gesetzeslage falsch wider. Ihrem Bericht zufolge sollen hier geborene Kinder von Imigranten nach dem 18. Lebensjahr automatisch Deutsche werden.

Seit dem Wochenende stehen die Telefone in den Redaktionen der türkischen Zeitungen nicht still. „Viele Leute rufen an, und freuen sich, daß wenigstens ihre Enkelkinder rasch Deutsche werden können“, sagt Ceyhun Kara. Der Berliner Korrespondent der Milliyet nimmt den Anrufern die Freude: „Diese Regelung macht uns Türken, die in Deutschland leben, endgültig zu Menschen zweiter Klasse.“ Seit nunmehr dreißig Jahren leben Ausländer in der Bundesrepublik, mittlerweile in dritter Generation. Die Koalition verschließe doch sonst nicht die Augen vor der Wirklichkeit, findet Kara und fragt, warum deutsche Abgeordnete überall auf der Welt Menschenrechtsverletzungen aufspüren und den Schutz von Minderheiten verlangen, während sie zu Hause anscheinend nicht in der Lage seien, Minderheiten Schutz und Recht zu gewähren.

Als glatte „Täuschung der Öffentlichkeit“ bezeichnen das „Bündnis Türkischer Einwanderer“ und der „Bund der Einwanderer/-innen aus der Türkei“ die geplante Regelung. Der „Kompromiß“ gebe vor, nun werde die doppelte Staatsbürgerschaft eingeführt. Die neue Regelung werde nichts daran ändern, „daß die sieben Millionen Nichtdeutschen weiterhin als Ausländer mit minderen Rechten in diesem Land leben“. Überdies werde der Rassismus so lange staatlich gefördert, so lange es den „Unterschied zwischen deutschem und nichtdeutschem Blut“ gebe.

Eine Verhöhnung sei die ganze Sache, denn nach den Bestimmungen des Schengener Abkommens sei eine derartige Visafreiheit für Kinder und Jugendliche möglich, sagte Kenan Kolat, Geschäftsführer vom „Bund türkischer Einwanderer“. Der „Interkulturelle Rat“, ein Zusammenschluß von Ausländern und Deutschen, betont, daß „Deutschland nach wie vor das Schlußlicht bei der Einbürgerung von Immigranten in Europa“ bilde.

„Der Berg kreißte – und gebar eine Mißgeburt“, so der knappe Kommentar von Daniel Cohn- Bendit, Multikulti-Stadtrat der Grünen in Frankfurt am Main. Er kündigte an „die Regelung auf ihre Verfassungsverträglichkeit überprüfen zu lassen“. Es gehe nicht an, daß Minderjährige mit Kinderstaatsbürgerschaft ausgewiesen werden können, wenn ihre Eltern straffällig werden. Cohn-Bendit sagt, „diese mittelalterlichen Fantasie der Sippenhaftung kann vor dem Grundgesetz wohl kaum standhalten“. Berlins Ausländebeauftragte Barbara John, CDU, nannte die Vereinbarung einen „Witz“. Zwar erleichtere sie das Leben in einigen Dingen, letztlich handle es sich nur um „Ein-bißchen-Gleichheit“ und um „Ein- bißchen-Einbürgerung“.