Gemeinsam ums Überleben kämpfen

■ Sprachminderheiten auf der Expolingua / Sorben wollen ihre Kultur vermitteln

Sie sind die Exoten auf der Expolingua. Friesen, Sinti und Roma, Katalonen und Rätoromanen teilen sich mit 35 anderen europäischen Sprachminderheiten einen Stand der Ausstellung. Und bei allen Unterschieden teilen sie auch ein Schicksal: Häufig seit Jahrhunderten diskriminiert, verschwinden ihre Sprachen und damit ihre Kulturen Schritt für Schritt. „Da ist die Expolingua ein gutes Podium für diese Sprachen, sich vorzustellen“, sagt Beate Müller, eine der Organisatorinnen des Standes.

Beate Müller arbeitet im Sorbischen Kultur- und Informationszentrum (Ski) in Berlin-Mitte. Unter dem Dach des europäischen Büros für Sprachminderheiten präsentieren sich die Sorben zusammen mit anderen europäischen Minderheiten auf der Expolingua. Zum zweiten Mal sind die Sorben dabei. Das Büro mit dem Sitz in Dublin koordiniert den europaweiten Kontakt der kleinen europäischen Sprachen, organisiert Treffen oder Austauschfahrten.

Wie andere Sprachminderheiten in Europa, sind die Sorben im eigenen Land nur wenig bekannt. Und viele, die sie kennen, denken nur an weiße Kniestrümpfe, wadenlange grüne Röcke, gestärkte Schürzen, Puffärmelblusen und Kopftücher mit grünen Bändern, an Sorben in ihren traditionellen Trachten eben. Im Fernsehen tauchen sie meist nur auf, weil sie sich zu Feiertagen hübsch bunt anziehen. Oder weil sie es verstanden haben, ihr eigenes Brauchtum zu erhalten. Da erfährt der Zuschauer vom Maibaumwerfen, Hahnrupfen oder dem Osterreiten, bei dem die männlichen Sorben auf geschmückten Pferden zum nachbarlichen Kirchdorf reiten, Gebete sprechen und dem entgegenkommenden Reiterzug nicht begegnen dürfen. Daß sorbische Kultur aber über diese Bräuche hinausgeht, läßt sich schlechter in die deutschen Wohnzimmer transportieren. Viele wissen nicht mal, daß die Sorben eine eigene Sprache sprechen. Sogar zwei: Obersorbisch und Niedersorbisch.

Beide Sprachen sowie ihre Literatur werden die Sorben an ihrem Stand auf der Expolingua präsentieren. Dadurch wollen sie auch dem Publikum ein wenig von ihrer Geschichte vermitteln. Denn nur wenige wissen, daß die Sorben slawischer Herkunft sind und sich bereits um 600 im Gebiet der Lausitz ansiedelten. Trotz jahrhundertelanger Unterdrückung erhielten sie sich Sprache und Kultur. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verfolgung durch die Nationalsozialisten reorganisierten sie sich in einem neuen Dachverband, der Domovina. In der DDR galten die Sorben als nationales Vorzeigeobjekt. Mit staatlicher Förderung entstanden sorbische Schulen und Kulturhäuser, Verlage und Museen. Dafür mußten die Sorben ihre Organisationen in sozialistische umwandeln. Heute wohnen rund 60.000 Sorben zwischen Lübben und Zittau.

Bei Ski in Berlin kann man heute wieder Sorbisch lernen. Nicht nur Menschen mit sorbischen Vorfahren lernen diese seltene Sprache. Kursleiter Gerhard Mutschischk erzählt: „Ich kann mich dadurch auch mit bosnischen Flüchtlingen verständigen.“

Wer im Alltag Sorbisch spricht, muß manchmal mit Pöbelein rechnen. Um die Akzeptanz für ihre Sprache zu erhöhen, setzen die Sorben auf die Zusammenarbeit mit dem Europäischen Büro für Sprachminderheiten und die Europäische Union. „Wenn eine Minderheit überleben will, muß sie sich um andere Minderheiten kümmern“, meint Mitorganisatorin Beate Müller.„Es ist wichtig, daß wir uns austauschen, denn wir können viel voneinander lernen.“ Lennart Paul