„Wer die Lippen spitzt, muß pfeifen“

Landesparteitag der SPD lehnt Landesschulamt weiterhin ab / Neuer Fraktionschef Böger warnt vor Koalitionsfrage, doch Landesvorsitzender Dzembritzki sieht keinen Klärungsbedarf  ■ Von Dirk Wildt

Die SPD lehnt die Einrichtung eines Landesschulamts weiterhin ab. Ein defensiv formulierter Antrag des Landesvorstands fand auf dem Landesparteitag am Dienstag in der Kongreßhalle am Alexanderplatz erst eine Mehrheit, nachdem der ehemalige Innensenator Erich Pätzold mit einem Änderungsantrag Eindeutigkeit hergestellt hatte: „Die Pläne für ein Landesschulamt werden nicht weiter verfolgt“, heißt es nun. Die 8,8 Millionen Mark, die mit der Errichtung eines zentralen Landesschulamts eingespart werden sollen, sollen statt dessen durch den Abbau von Doppelzuständigkeiten in Haupt- und Bezirksverwaltungen erreicht werden. Doch ob der Beschluß Folgen hat, ist ungewiß. Klaus Böger, den die Abgeordnetenhaus-Fraktion am selben Tag zu ihrem neuen Vorsitzenden wählte, hat den Parteitag vor der Ablehnung des Amts gewarnt: „Wer die Lippen spitzt, muß auch pfeifen.“ Er betonte, daß der Koalitionspartner CDU während der Beratungen zum Doppelhaushalt 1995/96 der SPD die Behörde „abgerungen“ habe. Die CDU hat im Gegenzug auf eine Vergrößerung der Kita-Gruppen verzichtet. Wer gegen das Landesamt stimme, sagte Staffelt-Nachfolger Böger, der könnte auch die Koalition beenden. Der Fraktionschef will sich zwar dem Parteitagsbeschluß unterwerfen, andererseits lehnte er aber ab, die im Abgeordnetenhaus laufende Verhandlung über eine Gesetzesänderung auszusetzen. Der kommissarische Landesvorsitzende Detlef Dzembritzki solle sich mit dem Koalitionspartner beraten. Doch dieser sah keinen Diskussionbedarf, „die Koalitionsfrage ist nicht berührt“, meinte der amtierende Parteichef kurz vor Mitternacht. Böger habe seine Rede „rhetorisch“ gemeint.

Sozialdemokratisches Profil durch Länderfusion

Die anderen Anträge zur Vereinigung von Berlin und Brandenburg, zur Urwahl der Spitzen- und der Bezirksbürgermeister-Kandidaten sowie zur Verwaltungsreform waren mehr oder weniger unstrittig. Führende Sozialdemokraten wie Böger und die beiden Bewerber für die Spitzenkandidatur, Ingrid Stahmer und Walter Momper, erhofften sich politisches Profil durch eine klare Befürwortung der Fusion. Die Ländervereinigung ist eine der wenigen Fragen, in der sich die SPD von der CDU deutlich unterscheidet: In der Union ist der geplante Termin 1999 für die Fusion umstritten. Der Parteitag bestätigte nicht nur den Zeitplan, sondern entschloß sich auch für Potsdam als Landeshauptstadt des neuen Bundeslandes.

Der Chef der Brandenburger Staatskanzlei, Jürgen Linde (SPD), berichtete über die noch zwischen Berliner und Brandenburger Kabinett strittigen Punkte. Die Bereiche Finanzen, Personal und Energie seien die Hauptprobleme. Berlin solle die in der Lausitz geförderte Braunkohle für seine Stromgewinnung verfeuern. Bei der Nettoneuverschuldung und dem Abbau von Stellen in der öffentlichen Verwaltung rückte Linde von konkreten Zahlen ab. Bislang hieß es, daß bis 1999 Berlin die Zahl der öffentlich Bediensteten auf 90.000 reduzieren und Brandenburg nicht auf mehr als 65.000 erhöhen dürfe.

Die Landesdelegierten beschlossen erwartungsgemäß, ihre Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters und die 23 Bezirksbürgermeister per Urwahl zu bestimmen. Damit sind am 5. Februar kommenden Jahres 24.500 SPD-Mitglieder für die Urwahl aufgerufen. Der neue Landesvorsitzende soll auf einem Sonderparteitag am 12. Dezember gewählt werden. Als Nachfolger für Ditmar Staffelt bewirbt sich bislang nur Dzembritzki.