■ Tiefer Fall eines Newcomers: Mandat niederlegen
Kurt Neumann war bislang nur Eingeweihten bekannt: als Sozialdemokrat, der gerne mit der Formel vom „demokratischen Sozialismus“ die verbliebene Linke seiner Partei um sich scharte. Als sich der Rechtsanwalt am 16. Oktober in Kreuzberg/Schöneberg gegen den CDU-Abgeordneten Jochen Feilcke und Hans-Christian Ströbele vom Bündnis 90/Die Grünen als Direktkandidat durchsetzte, war das eine der vielen Berliner Überraschungen dieses Wahlabends. Nur wenige Tage später begann der tiefe Fall des Newcomers Neumann. Der Mann war plötzlich Schlagzeilen wert: Nicht der Linke, sondern die undurchsichtigen Machenschaften eines offenbar in wirtschaftliche Not geratenen Rechtsanwalts standen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Denn, so wurde bekannt, seit geraumer Zeit ermittelt die Justiz gegen Neumann wegen des Verdachts des Betrugs. Nun wäre es an ihm gewesen, die täglich neuen Ungereimhtheiten aus seiner beruflichen Vergangenheit aufzuklären. Statt dessen tauchte Neumann erst einmal unter. Für die Medien war er nicht zu sprechen, und selbst gegenüber seiner eigenen Partei war er nicht auskunftsfreudiger.
Mit jedem Tag verfestigte sich so das Bild, hier wolle ein frisch gekürter Bundestagsabgeordneter sein Mandat zur Sanierung des hausgemachten Schuldenberges nutzen. Seine Genossen in Bonn rückten schon nach wenigen Tagen von dem unsicheren Kantonisten ab und verweigerten ihm vorerst einen Platz in einem der parlamentarischen Ausschüsse. Nun wurde er von der Parteispitze am Wochenende fallengelassen. Neumann, der über die Parteiarbeit hinaus offenbar seine Tätigkeit als Anwalt vernachlässigt hat, bleibt nunmehr nur eine Möglichkeit: sein Mandat aufzugeben und die Vorwürfe auf gerichtlichem Wege klären zu lassen. Nur so rettet er den Rest an Glaubwürdigkeit, mit der er für die Linke in den Wahlkampf zog. Severin Weiland
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