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Heilige Johannas...

■ ...der Bausparverträge - Peter Welz' "Burning Life" ist die in Braunkohle gehaltene Antwort auf "Thelma and Louise"

Ein deutsches Road-Movie kann nur eine Komödie sein. Schon allein deswegen, weil man sich die bürokratische Anstrengung lebhaft vorstellen kann, mit der die Straßen weiträumig abgesperrt wurden, auf denen die lonely riders sich verlustieren sollen. Statt des Grand Canyon gibt es allenfalls Braunkohleödnis. Aber nicht einmal der deutsche Osten mit den grünen Rechtsabbiegepfeilen scheint der passende Ort, auf freier Strecke alles hinter sich zu lassen.

Darum kommen Lisa und Anna auch ständig irgendwo an. In Kleinstadt-Banken beispielsweise, die sie mit vorgehaltener Spielzeugpistole plündern. Und überall treffen sie auf arme Mitbürger, an die sie die Beute rechtschaffen verteilen. Die deutsche Antwort von Peter Welz auf Ridley Scotts Outlaw-Ladies Thelma und Louise sind zwei Heilige Johannas der Bausparverträge.

Begegnet sind sie sich in ihrer ersten Bank, die beide am gleichen Vormittag ausrauben wollten. Lisa aus Gerechtigkeitssinn, Anna aus Selbsterhaltungstrieb. Lisa ist mit dem Bus gekommen, nachdem sie in ihrem Elternhaus in Herderode ihren Vater mit einer Schlinge um den Hals zurückgelassen hat. Als Bürgermeister hatte er der Errichtung von Deutschlands größtem Golfplatz zugestimmt und konnte den Anblick der Bulldozer nicht aushalten, die anrückten wie Panzer im Krieg und die Einfamilienhäuser der Herderoder platt machten. Der Putz rieselte schon, als Lisa ein paar Erinnerungsstücke zusammenkramte.

Anna ist mit dem Auto gekommen, mit einem Tschaika, der angeblich einmal Chruschtschow gehörte. Sie erhielt ihn als Bezahlung für einen der wenigen Auftritte als Swing-Sängerin, als die sie sich seit drei Jahren mit Recht erfolglos versucht. Mann und Sohn warten schon lange nicht mehr auf Rügen.

Lisa trägt eine Ratte mit sich herum, die ausgerechnet Nikita heißt. Als die drei nach dem ersten Überfall in den Tschaika einsteigen, lassen sie die Bankkunden beim Absingen der Nationalhymne zurück und haben einem Kreditschuldner das nötige Kleingeld zum Neuanfang verschafft. Später teilen sie das Restgeld in McEd's Imbiß, da sind sie schon im Fernsehen, und die Umsitzenden klatschen Beifall.

Ein ostdeutsches Märchen ist es, das Welz mit Anna Thalbach und Maria Schrader als Lisa und Anna erzählt, darum kommt es auch gar nicht so sehr auf realistische Genauigkeit an. Die sieben Überfälle in neun Tagen zeigt er in Schlagzeilen, Schnappschüssen der sonnenbebrillten Heldinnen und dem Applaus der Bürger. Natürlich lieben die Leute Lisa und Anna, die gewitzt und gewaltfrei auf eigene Faust eine Steuerreform durchführen. Sogar die Polizei fahndet nur – Harvey-Keitel-haft – mit halber Kraft.

Deswegen wird Neuss aus Düsseldorf eingeflogen, ein fieser Kopfjäger im Staatsdienst, gespielt von Dani Levy! Er unterminiert zunächst die Unterstützung der Bevölkerung, indem er die Johannas im Fernsehen als bewaffnete Terroristinnen denunziert und ihnen ein selbst inszeniertes Massaker in einer Bank in die Schuhe schiebt. Von da an geht's bergab.

Welz schattiert das schwarzweiße Ost-West-Bild: die Ost-Bevölkerung glaubt dem Fernsehen sofort, und Annas Mann, zu dessen Haus in Putbus die Reise führt, prügelt seine vermeintliche Terroristen-Frau erstmal durch, statt ihre naive Freude über die endlich erlangte Popularität zu teilen – was ohnehin ein bißchen viel verlangt wäre, nach drei Jahren. Eine wirkliche Liebesgeschichte gibt es auch, zwischen Lisa und Paul (Max Tidof), einem Jahrmarkts- und Überlebenskünstler. Sie kriegen sich in den Dünen. „Burning Life“? Der Titel ist natürlich ein Witz, in der ostdeutschen Tristesse langt's höchstens zum Flackern, aber das ist ja auch etwas.

Bis in die Nebenrollen ist der Film übrigens ausgezeichnet besetzt, mit Herbert Olschok als Hotelnachbar oder dem Ost-Winnetou Gojko Mitič als Tankwart. Und auch sonst ist alles da, was schon in „Thelma und Louise“ gefiel, auch wenn die Privatschicksale hier zum Glück nur Nebenhandlung sind: Streitereien der Frauen und blindes Verständnis im richtigen Moment, eine hubschrauberunterstützte finale Verfolgungsjagd und der Mut zum Klippensturz. Aber Deutschland ist kein Land, in dem es sich in Schönheit sterben läßt. Und so knattern die Johannas ins Off, und wenn sie nicht in die Radarkontrolle kommen, dann... Petra Kohse

„Burning Life“. Regie: Peter Welz, Mit Thalbach, Schrader u.a.

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