Ehrfurcht kommt auf

■ "Priscilla" - ein rollender Schminkkoffer für Kreaturen ohne Natur: Mit Mitzig, Felicia und Bernadette, nett, nett

Sag mir, an welcher Stelle du lachst, und ich sage dir, ob du homo oder hetero bist. 1978 trennte „Ein Käfig voller Narren“ die Spreu vom Weizen. Die Version für die 90er Jahre heißt „Priscilla“.

Der Homo hat viel zu lachen in dieser Geschichte einer Busfahrt quer durch die australische Wüste. Gesteuert wird der rollende Schminkkoffer, genannt „Priscilla“, im Wechsel von den beiden Travestie-Künstlern Mitzi und Felicia und dem Transsexuellen Bernadette. Auf ihrer Reise zu einem Auftritt nach Alice Springs bleibt ihnen nichts erspart: Immer wieder macht der Bus schlapp, tumbe Hinterwäldler wünschen sie zur Hölle, sie treffen auf freundliche Aborigines und finstere Minenarbeiter, die gerne zuschlagen. Der Rest ist majestätische Wüstenlandschaft pur, die optimale Kulisse für herrlichste Fummel dreier drag queens.

Denn Königinnen sind die drei allemal, so wahrhaftig und glamourös, wie jeder Schwule zur Monarchin wird, sobald er die passenden Pumps gefunden hat und das richtige Dekolleté. In dem australischen Trio kommen drei Generationen zusammen und drei Sehnsüchte aus einer schwulen Brust: Der leckere Knackarsch Felicia, ewige Jugend und Attraktivität; das sensible Mittelalter Mitzi, mit heterosexueller Vergangenheit und einem leiblichen Sohn; und Bernadette, die vom Leben Gereifte und Frau geworden durch ein Skalpell.

Wie sich das für ordentliche Tunten gehört, schenken die drei sich alles und nichts. Ihr böses Mundwerk geht tiefer als jedes Messer, und ihre gegenseitigen Umarmungen und Tröstungen sind so falsch, daß sie das einzig Richtige sind in einer Welt, die sie für Monster hält, für Kreaturen ohne Natur. Doch die drei von der „Priscilla“ sind kampferprobt, sie können ihre Fäuste einsetzen, wenn die Zunge versagt und sind dabei mit ihren Fingern noch geschickt genug, aus zwei Dutzend Badelatschen eine ordentliche Abendgarderobe zu fertigen. Ganz stumm werden sie nur, wenn ihre Hymnen ertönen, ihre Lippen bewegen sich tonlos in perfektem Gleichlauf, und „I will survive“ kommt raus oder „I've never been to me“ oder „Mamma mia“. Da kommt Ehrfurcht auf und Drama in die Bewegung, wenn eine richtige Frau mit der ganzen Kraft ihrer Möse den gaffenden Heteros Tennisbälle um die Ohren jagt.

Regisseur Stephan Elliott, nach eigenem Bekunden ein schwuler Bisexueller, kennt sich aus in der Welt der drag queens. Er kommt aus Sydney, dessen schwule Gemeinde 1,2 Millionen Mitglieder zählt und damit die größte der Welt ist. Seine Anregungen für Figuren und Kostüme holte er sich vor allem vom Gay Mardi Gras, dem schönsten aller Fummel-Umzüge, der alljährlich Millionen von Touristen in die australische Metropole lockt. Bei aller Auswahl dort mußte Elliott doch lange nach den passenden Darstellern suchen, Schwule oder Transvestiten schieden nach den ersten Castings aus: „Die meisten Mädels hatten nie die Gelegenheit, einen Schwulen zu spielen, und jetzt, wo sie plötzlich die Chance bekamen, kriegten sie die Panik.“ Den Zuschlag bekamen schließlich drei Heteros, „Zufall“, wie Elliott versichert.

Die größte Überraschung bei der Besetzung ist Terence Stamp, der Beau aus Pasolinis „Teorema“. Er, der noch in den 60er Jahren als schönster Mann des britischen Empire gefeiert wurde, hatte zunächst große Angst vor der Rolle des Transsexuellen Bernadette. Und ging dann doch tapfer an sein Rollenstudium: „Nichts Menschliches ist mir fremd.“ Als er bei ersten Gehversuchen im Fummel in einer Bar in Sydney von Männern angebaggert wird, findet Stamp sofort den richtigen Ton: „Ich sagte nur: ,Jungs, ich schlucke nicht‘.“ Seine Bernadette-Darstellung ist so überzeugend, daß er inzwischen für eine Oscar-Nominierung im Gespräch ist.

„Priscilla“ hat das Zeug zum Dauerbrenner und macht gute Laune, sicher noch in zehn Jahren. Der Film ist die korrekte Antwort auf das soziologische Geschwätz vom gender crossing und Transvestitismus, weil er keiner der akademischen Fragen nachgeht. Dafür bietet er Anregung für jede Lebenslage: Falls du mit deinem Bus in der Wüste liegenbleibst, nutze die Zeit für einen Tanz. Und wenn dir ein Hetero dumm kommt, laß seinen Unterleib nicht aus dem Auge, damit deine Faust ihr Ziel nicht verfehlt. Das sind die Stellen, an denen der Homno lacht und sich darüber freut, daß die Welt noch in Ordnung ist. Elmar Kraushaar

„Priscilla“, Regie: Stephan Elliott. Mit Terrence Stamp u.a.