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„Ich wollte Guillaume sein“

Frauen im Visier der Stasi: Weibliche IMs lieferten genau beobachtete Psychogramme, ihren Opfern bleibt ein „Bedrohungsgefühl“  ■ Von Karin Flothmann

Knapp drei Jahre sind vergangen, seit die ersten Betroffenen Einsicht in ihre Opfer-Akten bei der Berliner Gauck-Behörde nahmen. Und schon mehren sich die Stimmen, die für eine Schließung der Stasi-Akten plädieren. Die Vergangenheit soll ruhen, auch wenn sie noch nicht aufgearbeitet ist. Und so verschwimmt in der öffentlichen Debatte immer mehr die Grenze zwischen TäterInnen und Opfern. Daß es erst heute – fünf Jahre nach dem Fall der Mauer und dem zwei Monate später folgenden Sturm auf die Stasi- Zentrale – möglich wird, sich mit einer gewissen Distanz dem Thema Stasi zu nähern, wird bei allen Rufen nach einer Schließung der Akten vergessen. Daß auch Frauen ins Blickfeld der Stasi gerieten und daß sie dem Ministerium für Staatssicherheit tatkräftig als Denunziantinnen zuarbeiteten, fällt so ebenfalls dem Vergessen anheim.

Grund genug für den Unabhängigen Frauenverband, am vergangenen Wochenende zu einer Tagung unter dem Titel „Frauen im Visier der Stasi“ mit Unterstützung der Grünen-Initiative „Frauenanstiftung“ nach Berlin einzuladen. Ein mißverständlicher Titel, denn den Referentinnen ging es nicht nur um die Opfer, diejenigen, die ins „Visier der Stasi“ gerieten, sondern auch um die Täterinnen, um hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiterinnen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Im Vergleich zu den Männern war ihr Anteil recht gering. Neben hauptamtlichen MitarbeiterInnen setzte die Staatssicherheit insbesondere auf die tatkräftige Mitarbeit der Bevölkerung. Unzählige „Gesellschaftliche Mitarbeiter“ leisteten tagein, tagaus kleinere Spitzeldienste, am Arbeitsplatz, auf öffentlichen Veranstaltungen oder im eigenen Freundeskreis.

Wie ernst diese Arbeit genommen wurde, beschreibt Annette Maennel, die sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit Motiven und dem Alltag Inoffizieller Mitarbeiterinnen (IM) des MfS beschäftigt. Sie sprach mit ehemaligen weiblichen IMs, die sich auf Zeitungsanzeigen hin bei ihr meldeten, und sah ihre Aktenvorgänge ein. „Sollten die Frauen Personen beschreiben“, so Maennels Erfahrung, „dann sind es genau beobachtete Psychogramme.“ Die Stasi erhält von ihnen Berichte, in denen der inhaltliche und zeitliche Ablauf von Veranstaltungen, privaten Parties oder dem Beisammensein im eigenen Freundeskreis minutiös festgehalten ist, „inklusive Meinungsäußerungen und Stimmungslagen“. Gleichzeitig war sich keine IM zu schade, andere Personen zu beurteilen oder intimstes Wissen auszuplaudern.

„Sie ist kleinlich, naiv, geistig zurückgeblieben“

In dem IM-Bericht über eine Spitzensportlerin heißt es unter anderem: „Sie ist kleinlich, naiv, geistig zurückgeblieben.“ Eine Teilnehmerin der Tagung kann die eigene Beurteilung beisteuern: „In meiner Akte konnte ich nachlesen: ,Sie hat Philosophie studiert, ist aber dennoch nicht in der Lage, den Marxismus-Leninismus richtig zu interpretieren, was wohl daran liegt, daß sie immer noch keinen Partner gefunden hat.‘“

Als Angela T. 1982 vom MfS angeworben wird, ist sie noch Schülerin: „Ich sollte über eine Gruppe in meiner Klasse berichten, die damals alle einen Aufnäher ,Schwerter zu Pflugscharen‘ auf dem Jackenärmel hatten. Dann sollte ich über meine beste Freundin aufschreiben, was sie für ein Verhältnis zu ihrer Großmutter hat und wie sie von den anderen gesehen wird.“ Angela T. berichtet der Stasi darüber. Die heute 28jährige ist eine der ehemaligen IMs, mit der Annette Maennel sprach. Damals, 1982, gefiel ihr vor allem das Abenteuerliche an der IM-Tätigkeit. Später, so ihr damaliger Berufswunsch, „will ich mal Kundschafter werden. Guillaume sein.“

Die Motive für eine Mitarbeit bei der Stasi sind vielfältig. So meint Angela T. etwa: „Irgendwie wollte ich immer etwas ganz Wichtiges machen. Ich wollte, daß alle sehen, daß ich was kann.“ Auch bei ihr verfängt die Propaganda der DDR, auch sie will dazu beitragen, den Sozialismus vor dem Klassenfeind zu schützen. „Ich wollte schon gern den Sozialismus schützen helfen. Das hört sich doof an, aber daran hab' ich wirklich geglaubt.“ Nach ihrer Anwerbung durch das MfS schreibt sie in ihr Tagebuch: „Jetzt bin ich ganz wichtig!“

Welche Folgen das eigene Tun für diejenigen hatte, die bespitzelt und bei der Stasi denunziert wurden, darüber mag sie, wie fast alle ehemaligen IMs, nicht nachdenken. Keine der von Annette Maennel befragten Frauen will die eigenen Aktenvorgänge einsehen. „Keine von ihnen will heute das Ausmaß der Konsequenzen sehen.“ Gleichzeitig vermutet Maennel, daß diejenigen, die mit ihr sprachen, sich geoutet haben, weil das Gespräch mit einer Außenstehenden „teilweise eine Art Therapie“ für sie war.

„Viele der IMs sagen heute, wir waren doch gutgläubig. Wir haben versucht zu bewahren, was etwas wert ist“, erzählt Maennel. Immer wieder fällt außerdem der Satz: „Wir haben nichts verraten. Wir haben niemandem geschadet.“ Dabei müßte ihnen das Ausmaß ihrer IM-Tätigkeit klar sein. Irena Kukutz und Tina Krone, beide Initiatorinnen der „Frauen für den Frieden“, die sich 1982 in Ost-Berlin gründeten, können ein Lied von den Konsequenzen der Bespitzelung singen.

„Heute habe ich eine große Scham...“

Nachdem 1982 in Berlin 54 Frauen ihre Unterschrift unter eine Eingabe gegen das neue Wehrdienstgesetz der DDR setzten, wurde die Gruppe verschärft beobachtet. Mehrere IMs tummelten sich meist zeitgleich in der Gruppe und im privaten Umfeld der Frauen, darunter auch enge Freundinnen, wie Monika H., um – so das Anliegen der Stasi – die „Zersetzung der Gruppe zu betreiben“. Die Methoden der Stasi reichten von Drohungen und Vorladungen, Abhöraktionen, Hausdurchsuchungen und dem Öffnen der Post bis hin zu Hausarrest und Verhaftungen. Einzelne Frauen verloren ihre Arbeit. Die Vorfälle um Bärbel Bohley sorgten in den späten achtziger Jahren auch im Westen für Schlagzeilen.

Im Gespräch mit Irena Kukutz sagte die ehemalige IM Monika H. 1990: „Weißt du, wie schön es ist, mit dir zu reden, ohne daß ich danach zu meinem Typen muß, um ihm alles zu erzählen.“ Monika H. meldete sich noch 1990, nach dem Sturm auf die Stasi-Zentrale, bei ihren Spitzel-Opfern und bat um ein Gespräch. Auf die Frage, ob sie sich mehr als Opfer oder Täterin fühle, antwortete sie damals: „Ich bin Opfer meiner Erziehung, meines ganzen bisherigen Lebens. Und zugleich fühle ich mich auch sehr als Täter. Heute habe ich eine große Scham... Die Schuld, Vertrauen benutzt zu haben...“

Das Lesen der eigenen Akte, so schildern es alle Frauen, war erst einmal unerträglich. Enttäuschung und Verletzungen halten oft bis heute an. „Aus dieser Zeit ist ein unheimliches Bedrohungsgefühl übriggeblieben“, meint Beate H., in den achtziger Jahren selbst eine der „Frauen für den Frieden“. Dennoch will kaum eine der betroffenen Frauen auf die Akteneinsicht verzichten. „Das Lesen der eigenen Akte hat mir geholfen“, sagt Tina Krone, „es ermöglichte mir eine Klärung der früheren Vorgänge. Für mich ist es einfacher, wenn ich genau weiß, was in den achtziger Jahren in der DDR wirklich passiert ist.“

Außerdem bietet der Blick in die eigene Opfer-Akte manchmal sogar Positives. Für die Liedermacherin Bettina Wegner zum Beispiel: „Es war prima, herauszufinden, wie viele von mir zu Unrecht verdächtigt wurden, ein Spitzel zu sein. Wie viele sie versucht haben zu kriegen, und dann stand unter ihrer Akte: ,Nicht zu gebrauchen, Anwerbeversuch wurde aufgegeben.‘“

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