Endlager für eine technische Illusion

■ Das Problem der Aufbewahrung radioaktiver Stoffe ist nach wie vor nicht gelöst – also schiebt man sie in eine Lagerhalle ab

Das Feuer im Heizkessel eines Kohlekraftwerks kann gelöscht werden, der Zerfall der Atomkerne nicht. Nur aus Gründen der öffentlichen Propaganda hießen die Packungen spaltbarer Uranatome bald „Brennstäbe“, die im „Feuer“ des Reaktors aufgezehrt werden, so als ginge es darum, eine spezielle Art von Briketts im Ofen zu verheizen.

Die Realität eines Atomkraftwerks ist eine andere. Lediglich eine gewisse Zeit läßt sich die Hitze des Atomzerfalls wirtschaftlich nutzen, danach müssen die spaltbaren Stoffe entfernt werden. Sie sind nicht nur spaltbar, sie sind in hoher Dichte konzentriert, zerfallen weiterhin, und sie haben keine Asche hinterlassen, sondern eine große Anzahl weiterer Stoffe, deren Atomkerne ebenfalls instabil sind. Dazu gehören unter anderem das in der Natur kaum auffindbare Plutonium, das zu den gefährlichsten Giften überhaupt gehört, aber auch leichtflüchtige Edelgase und Mineralien wie Cäsium. Manche dieser Spaltprodukte des Urans zerfallen rasch, andere strahlen noch nach Millionen von Jahren. Ebenso lange Zeit müßten sie absolut sicher vor der Umwelt eingeschlossen werden.

Allein dieser Umstand überfordert jede bisher bekannte Technik des Menschen. Hinzu kommt, daß dieser Abfall der Atomkraftwerke zumindest in der Anfangszeit gleichfalls Wärme erzeugt. Ein Lagerbehälter muß deshalb zwei schwer miteinander vereinbare Bedingungen erfüllen, er muß einerseits die strahlenden Spaltprodukte vor der Umwelt abschirmen, andererseits muß er die Hitze des Atomzerfalls abführen.

Lange Zeit setzte die Atomwirtschaft darauf, das Lagerproblem durch die sogenannte „Wiederaufbereitung“ des radioaktiven Abfalls zu entschärfen. In einem prinzipiell geschlossenen Kreislauf sollte nun vor allem der Zerfall der Plutoniumatome zur Energiegewinnung genutzt werden. Das Verfahren hat sich als viel zu teuer erwiesen.

Seit diesem Jahr gilt in Deutschland wieder die sogenannte „direkte Endlagerung“ auch rechtlich als zulässige Lösung des Abfallproblems. Damit stehen die Atomingenieure wieder am Anfang. Sie suchen unter anderem Hilfe bei Geologen. Aber auf der ganzen Erde ist bisher noch kein Platz gefunden worden, von dem Experten sagen könnten, er sei geeignet, die Erblast des Atomzeitalters sicher einzuschließen.

Auch der Salzstock von Gorleben kann die Bedingungen nicht erfüllen, die selbst die Regierung und die Betreiber von Atomkraftwerken für unabdingbar halten. In der Hitze des Atomzerfalls könnte zum Beispiel die geologische Trennmauer der Salzlager schmelzen.

Unterderhand ist darum die Lagerhalle auf dem Gelände des einst geplanten unterirdischen Lagers zur wahrscheinlich letzten Ruhestätte der Abfälle westdeutscher Kernkraftwerke geworden. Dabei bleiben sie notdürftig eingeschlossen in die ominösen „Castor“-Behälter, die eigentlich nur zum Transport des heißen Materials gebaut worden sind. Sie sind das Symbol einer technischen Illusion. Die sinnlose Zerfallshitze strahlt in den Himmel des Wendlands, zumindest so lange, bis Atomtechniker eine bessere Lösung gefunden haben. Worin sie bestehen könnte, weiß bis heute niemand. Niklaus Hablützel