Das DTP-Dilemma

■ Desk Top Publishing: der Berufskiller in der „Schwarzen Kunst“

Desk Top Publishing (abgekürzt: DTP = Druckvorstufenproduktion mit dem Personal Computer) präsentiert sich als die größte Revolution, die es in der Satz-, Grafik- und Lithoindustrie je gegeben hat. In den ungefähr zehn Jahren seit seiner Erfindung hat DTP die Berufssparte Reinzeichnung so gut wie überflüssig gemacht und bereitet jetzt zunehmend das berufliche Ende nicht nur für viele ausgebildete Fotosetzer und Lithographen, sondern auch für die Betriebe, in denen sie arbeiten, vor.

In der Zeit zwischen Bleisatz und DTP lief ein typischer Druckvorstufenauf-trag folgendermaßen ab: Der Kunde brachte eine Skizze, entweder von ihm selber oder von einem Grafiker angefertigt, in eine Setzerei, wo die Details der Headline- und Textschriften festgesetzt wurden. Die korrigierten Satzfahnen wurden dann in die Reinzeichnung gegeben. Dort wurden Collegen mit ausgeschnittenen Textblöcken und Leerfeldern für die spätere Bildmotiven von Hand gefertigt. Ein Lithograph bereitete gleichzeitig die Bilder mit dem gewünschten Raster (abhängig von der Qualität des Druckverfahrens) vor, um sie dann mit einer Filmaufnahme der Reinzeichnung zusammenzukopieren. Das Resultat wurde dann an den Drucker geliefert.

Heutzutage können alle diese Vorgänge von eine Person mit einer DTP-Anlage mit der entsprechenden Ausrüstung (Computer, Programme, Scanner, Laserdrucker, Filmbelichter) vorgenommen werden.

Der DTP-Aufmarsch begann in den ersten fünf Jahren langsam und wurde von den meisten Profis in der Branche weder als Hilfsmittel noch als berufliche Bedrohung ernstgenommen. Die Layout- und Grafikprogramme wurden für Ikonen-orientierte Computer – also für Apple Macintosh und erst wesentlich später für DOS-Systeme nach der Erscheinung von „Windows“ – konzipiert. Die Programmstruktur war dadurch relativ einfach zu begreifen aber die damals sehr hohen Anschaffungskosten für die Hardware und die holprig laufende, ungenaue und leicht absturzgefährdete Software machte die Investition nur für abenteuerfreudige Unternehmen und „Computer-Freaks“ interessant.

Ein paar Hamburger Werbeagenturen setzten am Ende der 80er Jahren erfolgreich auf DTP. Dann folgten viele Zeitschriftenverlage, nachdem sie die Kostenersparnisse mit preiswerterer „In-House-Produktion“ gegenüber dem traditionellem Fotosatz realisiert hatten. Mittlerweile haben die meisten Werbeagenturen und Verlage hochtechnisierte DTP-Abteilungen, in denen sie ihre Satz- und Lithoaufträge ausführen lassen. Um an Gehältern zu sparen, werden diese Einrichtungen oft mit ProduktionerInnen besetzt, die über keine klassische Ausbildung verfügen.

Diese Entwicklungen haben sich als katastrophal – besonders für größere Grafikbetriebe – erwiesen. Rationalisierungen und Geschäftsschließungen gehören inzwischen zur Tagesordnung und das in einem zunehmend eng gewordenen Arbeitsmarkt. Die entlassenen KollegInnen, die überhaupt eine neue Anstellung finden können, müssen sich zudem oft mit der bösen Überraschung abfinden, daß die Bezahlung in den neuen DTP-Arbeitsverhältnissen weit unter dem Niveau der früheren Gehälter liegt.

Ein weiteres Opfer der DTP-Produktion ist die heutige Druckqualität von Satz und Bildern. Wer sich in der DTP-Welt behaupten will, ist gezwungen, alle Aspekte der Druckvorstufenproduktion irgendwie zu beherrschen. Immer öfter erscheinen grafische Grausamkeiten, die noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wären. Die Beispiele lassen sich am leichtesten am Satz erkennen, z.B. an der Unterschneidung (d.h. an den Abständen zwischen den Buchstaben): Früher wurde darauf geachtet, daß diese Abstände gefällig ausgeglichen wurden. Ein größeres typografisches Verbrechen sind die Anführungszeichen, wobei die klassischen „deutschen“, “englischen“, oder «französischen‚ durch die einfachen "Standardanführungszeichen" ersetzt werden.

Diese Verschlechterungen des Satzbildes bedeuten zwar keinen Weltuntergang, aber sie nehmen uns ein Stück gewohnte (auch wenn wir sie zumeist nicht bewußt wahrnehmen) Schönheit aus unserem täglichen Leben weg. Schade eigentlich.Robert Hile