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Hier geht Kabarett doch in die Irre

■ Gregor Lawatsch über die Zukunft seines Fachs/ Heute startet das zweite Bremer Kabarett-Festival „MosKITO“

„Kam ein Gast ins Kabarett/ fand die Räumlichkeiten nett/ Brach schon bei dem Namen Strauß/ ohne Grund in Lachen aus...“ Seit der Lieblingsfeind des deutschen Kabarettismus das Zeitliche gesegnet hat, läuft das mit den Lachreflexen nicht mehr ganz so eindeutig. Entsprechend hat die Branche gelernt, zu differenzieren. Wo die Zunft der Spötter anno 1994 formal und inhaltlich steht, kann zwar auch das Kabarettfestival „MosKITO“ nicht in ganzer Breite beantworten, das heute im Vegesacker KITO beginnt. Das Spektrum reicht aber inzwischen vom gesinnungslauteren Agitprop bis hin zur schrillen Pappnasen-Comedy, umfaßt radikale Konzepte und zynisches Lästerwerk ebenso wie innige Grüße aus Kalau.

Gestartet wird die Satirikerparade heute um 20 Uhr mit dem Gastspiel des literarisch-surrealen Märchenonkels Erwin Grosche; morgen folgt dann der televisionäre Nachschlag-Polemiker Richard Rogler. Und am Sonntag agiert mit Gregor Lawatsch einer, der eher satirisches Einmann-Theater betreibt denn herkömmliches Politkabarett.

Wie schon in seinem vorigen Programm über die unaufhaltsame Verschweinung eines Menschen als konfrontative Auseinandersetzung mit der Gentechnologie, demonstriert Lawatsch auch diesmal wieder einen Prozeß individueller Zerstörung. Unter dem harmlos klingenden Titel „Der letzte Schrei – Satyrspiel eines Nichtwählers“ läßt Lawatsch sich über Grenzerfahrungen aus, die sein Protagonist Heinz K. in der verrückten Normalität des Alltags macht und die nur noch die Flucht ins psychische Abseits als Ausweg möglich scheinen lassen. „Kabarett hat seine Grenzen erreicht“ meint der Fortschritts-Skeptiker und erläutert: „Themen wie Gentechnologie und globale Zerstörung sind doch für die Zukunft viel relevanter als irgendwelche Sparhaushalte oder Korruptionsfälle.“

Für sein neues Programm haben Lawatsch und seine Mitarbeiterin Anne Schulz gründlich recherchiert: In der Psychiatrie, bei Selbsterfahrungsgruppen und anderen Ansätzen zur Bewältigung einer kaum noch aushaltbaren Normalität. Das Abdriften, „in die Irre gehen“ Verrücktwerden wird als fast selbstverständliche Lebensform in einer Zeit der globalen Wende erfahren und in diesen Zuständen am Rande der Wirklichkeit zeigt sich alltägliche Realität denn auch ganz unverstellt.

Vom Unterhaltungswert solch satirischer Grenzgängerei darf man den bisherigen Kritiken zufolge überzeugt sein: Wer ausklinkt , -rastet oder –tickt, hat schließlich seine sinnlichen Erfahrungen im Kampf mit dem banalen Unsinn gemacht. Ulrich Reineking-Drügemöller

MosKITO, bis 27.11. täglich (außer Mi.) im KITO Vegesack

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