Die Zeit der Nabelschau ist vorbei

SPOTT ist nicht nur eine Interessenvertretung Freier Theater, sondern auch eine Zentrale für logistische und juristische Hilfeleistungen und manchen Tritt in allzu bequeme Hintern  ■ Von Petra Brändle

SPOTT. Schon mal gehört? „Na klar. Wenn wir die nicht hätten – das wär' ein Theater!“ Andreas Naurath, Öffentlichkeitsmitarbeiter am Theater zum Westlichen Stadthirschen, kann sich kaum vorstellen, wie die Betriebsprüfung des Kreuzberger Off-Theaters über die Bühne gegangen wäre ohne die Hilfe des SPOTT-Büros. SPOTT vereinbarte Termine mit den Prüfern, gab an, was zur Betriebsprüfung vorzulegen sei, half mit wichtigen Tips – plante und lenkte organisatorisch, was für künstlerische Menschen oft schon im Ansatz erdrückend ist: die Auseinandersetzung mit Behörden im Managementbereich.

SPOTT e.V., gegründet 1986, das ist das „Selbsthilfe-Projekt von Off-Theatern und -Theatergruppen in Berlin“, mithin ein Kommunikationsnetz für die Szene und vor allem Sprachrohr des dem Wortsinne nach armen Theaters, eine Lobby, die die Interessen einer bis dahin unorganisierten, in permanenter Veränderung existierenden Theaterszene vertritt. Mit Erfolg: „Von 1986 bis 1990, also in den ersten vier Jahren unserer Existenz, hat sich der Etat des Kultursenats für Freies Theater mehr als verdoppelt“, erklärt Gerd Hunger, der Sprecher des Vereins, dem rund 90 Freie Gruppen und Off- Theater für 240 Mark im Jahr angehören. Ein Traum in Zeiten rigider Sparmaßnahmen, und so sieht es Hunger fast schon als Erfolg, daß die Freien Gruppen bei der Etatvergabe bisher „mit einem blauen Auge davongekommen sind“. Als Sprachrohr und Interessenvertreter fordert SPOTT jedoch noch mehr, wie Hunger, ein ehemaliger Grips-Theater-Mitarbeiter sagt. Beispielsweise verlange der Verein eine kompetentere Verteilung der Senatszuschüsse durch den „Beirat für die Freien Gruppen der Darstellenden Kunst“. Unbedeutende Gruppen, so Hunger, erhalten oft unverständlich viel Geld für nur ein Stück, während andere, interessantere nicht annähernd soviel für drei Produktionen jährlich bekommen. In diesem Zusammenhang kritisiert er auch, daß der Senat die 150.000 DM nicht aufbringen kann, um die Theaterbesuche für Schulkinder in den kommenden zwei Monaten – der Hochsaison des Kinder- und Jugendtheaters – zu finanzieren, was nicht nur für die Kinder bedauerlich, sondern auch ein Desaster für viele freie SchauspielerInnen ist, die sich mit Kinderstücken über Wasser halten.

Aber SPOTT appelliert auch an die Eigeninitiative der Gruppen: „Was heißt denn das, ,Freies Theater‘? Eben nicht, daß man sich nur auf Senatsgeldern ausruhen kann“, meint Gerd Hunger. „Die Zuschüsse sollten eigentlich nur eine Starthilfe sein – darüber hinaus müssen die Theater eben auch das sein, was sie sind: Unternehmen.“ Und die müßten Beträge erwirtschaften – in diesem Falle mit einer guten Auslastung oder mit der Vermarktung (ja, genau!) ihrer Stücke – sei es, nach Grips-Vorbild, über Bücher oder mit Fernsehadaptionen und ähnlichem.

Nach SPOTT-Verständnis muß sich ein Freies Theater ein unverkennbares, qualitativ anspruchsvolles Profil erarbeiten: „Die Zeit der Nabelschau und des dilettantischen Selbsterfahrungstheaters ist einfach vorbei.“ Auf dem Weg zur längerfristigen und ernsthaften Theaterarbeit hilft Hunger im SPOTT-Büro auch praktisch: mit einem „Hilfs- und Serviceangebot für Freie Theater“.

Dieses Leistungspaket enthält – wohlgemerkt für alle Freien Gruppen – beispielsweise Hilfestellungen zum Management. SPOTT stellt ideale Organisationsformen für Theater vor, organisiert Betriebsprüfungen, vermeldet im Vereinsblatt Aushang profan die günstigsten Postgebühren, vermittelt nach Bedarf billige Bestuhlung und Beleuchtung, weist auf Gema- Zahlungen sowie die Regelungen zum Zitatrecht für das Programmheft hin und übernimmt sogar die juristische Vertretung Freier Bühnen in der Auseinandersetzung über Versicherungsfragen mit der Künstlersozialversicherung und der Versorgungsanstalt Deutscher Bühnen.

Das SPOTT-Büro, ausgestattet mit einer vollen und zwei halben Stellen und vom Kultursenat bezuschußt, hält den aus finanziellen Schwierigkeiten heraus oft unprofessionell organisierten TheatermacherInnen also den Kopf frei für ihre Arbeit – und das wird von der „Neuköllner Oper“ genauso wie vom „Theater 89“ geschätzt. Gleichzeitig bietet Gerd Hunger ihnen auch an, sich in seinem Seminar über Kulturmanagement an der HdK selbst fortzubilden.

So ist SPOTT samt seinem Büro ein notwendiges wie auch hilfreiches Relikt hoffnungsvoller und inspirierter Jahre des Berliner Off- Theaters. Dies ist unmittelbar im zweimonatlich erscheinenden Vereinsblatt Aushang abzulesen: Mit einem jener Zeit entstammenden, nahezu heiligen Eifer wortfechten die BüromitarbeiterInnen zum Wohle des Freien Theaters – da geht es gegen Senatens, den Beirat, aber auch gegen die Journaille, mal verteufelnd, mal rechthaberisch, mal, nun ja, eben spottend.

„SPOTT ist der spottbillige Versuch, eine Situation, die jeder Beschreibung spottet, zu verändern. Vor allem wollen wir all jenen selbsternannten ,Interessenvertretern‘ kräftig auf die Füße treten, die immer noch glauben, beim ,Freien Theater‘ auf eine beliebig verschiebbare kulturelle Verfügungsmasse zu treffen.“

(SPOTT über SPOTT anno 1986.)