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Fehlende Geringschätzung

■ betr.: „Einer, der Angst hat und pfeift“, taz vom 11. 11. 94

[...] In der Zeit vor dem Kuwaitkrieg fiel auch ich für einige Tage auf die Kriegspropaganda herein. Ich begrüßte die Intervention der Westmächte. Saddam Hussein war eben ein neuer Hitler, dem mit Politik nicht beizukommen war. Zwar sah ich, anders als Enzensberger – aber der ist ja auch ein großer Intellektueller –, daß nur westliche Unterstützung den Irak aufgerüstet hatte. Wir hatten uns selbst in die Scheiße geritten. Aber jetzt stecken wir drin, und der einzige Ausweg schien ein Krieg zu sein. Satan Hussein mußte vom Antlitz der Erde getilgt werden.

Das ist jetzt vier Jahre her. Satan Hussein ist immer noch an der Macht. Er ist einer der rationalsten Politiker, den unsere Erde zu bieten hat. Er ist ein Taktiker, der sich im Rahmen des Möglichen arrangiert. Ein Satan war er für Herrn Enzensberger nicht während des von ihm mit unser aller Unterstützung veranstalteten Golfkriegs (eine Million Tote). Nach seiner Niederlage mit ausgebliebenem Selbstmord im Führerbunker setzt er seinen Genozid ungestört fort. Auch das qualifiziert ihn für Herrn Enzensberger nicht zur tollwütigen Bestie. Jeder halbwegs zynismusfähige Mensch kann unschwer feststellen, daß Herr Hussein zu den Zeiten seiner Allianz mit oder ohne Duldung durch den Westen an die zwei Millionen Menschen hat abschlachten lassen, in den Monaten der Konfrontation dagegen nur ein paar tausend. Herr Enzensberger freilich ist kein Zyniker, Herr Enzensberger ist Künstler.

Manchen / gefällt es, wenn / in einem fort- / laufenden Text Schrägstriche ein- / gefügt werden. / Sie halten / das dann schon / für ein Gedicht.

Wem's gefällt, bitte sehr. (Ich bin da Banause und halte es mit der bei uns unüberraschenderweise unbekannten Annie M. G. Schmidt.) Der mag auch im Feuilleton darüber schreiben. Wenn ein solcher Poet jedoch politische Texte veröffentlicht, dann mögen diese an gewissen Mindestanforderungen der Vernunft gemessen werden.

Kürzlich sah ich Karl Popper im Fernsehen. Er berichtete, wie fassungslos er als Kind war, als er im Sommer 1914 mit ansehen mußte, wie die ganze intellektuelle Mischpoke um seine Eltern über Nacht von glühenden Pazifisten zu fanatischen Kriegshetzern wurde. Das mag gar nicht mal daran gelegen haben, daß er den Pazifismus damals schon intellektuell erfaßt hätte. Er konnte nur nicht begreifen, wie angeblich intelligente Menschen ihre angeblich tiefste Überzeugung binnen Stunden in ihr Gegenteil verkehren, ohne es auch nur zu bemerken.

Mir fehlt in Widmanns Artikel ein eindeutiger Ausdruck der Geringschätzung für den Menschen Enzensberger. Ralf Kleinworth, Heidelberg

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