Die große Angst, zu demokratisch zu werden

An der Basis ringen die verschiedenen Seelen des italienischen Neofaschismus: Angesichts des Schmusekurses innerhalb der Regierungskoalition fürchten viele um den Bestand des Rechtsnationalen / Zerreißprobe im Frühjahr?  ■ Aus Latina Werner Raith

Sich selbst definiert Aimone Finestra als „unverbesserlichen Rechten, mit viel Sympathie für die Deutschen von altem Schrot und Korn und wenig Sympathie für unsere weinerliche italienische Art, alle Verantwortung auf andere zu laden.“

Innerhalb seiner Partei, der Movimento Sociale Italiano/ Destra Nazionale (MSI/DN), die seit den letzten Parlamentswahlen ihr Terrain mit Hilfe einer umfassenderen Bewegung namens „Alleanza Nazionale“ erfolgreich ausgeweitet hat, gilt Finestra bei den einen als Dinosaurier des vordem ewig bedeutungslosen rechten Randes „parlamantarisierter Ex-Kombattanten Mussolinis“ (so ein Anhänger des „linken“ Flügelmannes Pino Rauti), bei den anderen als „überpragmatischer Wendehals“ (ein Mittelschullehrer aus Terracina).

Bei der „intellektuellen Rechten“, die sich seit dem Aufbau der „Nationalen Allianz“ um einige Professoren der älteren Generation und um einige sehr junge Historiker und Journalisten schart, kommt Finestra in der Regel überhaupt nicht vor – weshalb die Intellektuellen ihrerseits in Latina aber auch keine sonderliche Rolle spielen.

Bekennende Anhänger der derzeitigen Rechtskoalition aus dem kulturellen Bereich wie der Schauspieler Francesco Nuti oder der Kunstkritiker Vittorio Sgarbi, die Modedesignerin Laura Biagiotti und selbst der Altfaschist Giano Accame, vordem Chefredakteur der Parteizeitung Secolo d' Italia, dürfen aufgrund ihrer Sympathien fürs Nationale zwar „ungehindert hier auftreten, wenn sie schon wollen“ – mehr aber auch nicht. Die rechten Regenten Latinas halten sich für ausreichend und brauchen niemanden dazu.

Denn Aimone Finestra, 72, ist seit vorigem Jahr Bürgermeister der Provinzhauptstadt Latina, der an Rom angrenzenden südlichen Provinz der Region Latium. Im Alleingang hat er den Vertreter des „progressiven Pools“ klar abgehängt. „Eine eindrucksvolle Bestätigung, wie die Neue Rechte eine nie gekannte Kompaktheit erreicht hat“, sagt sein Sohn Paolo, der für seinen Vater den Wahlkampf organisiert hat – und der seine Familie als bestes Beispiel dieser Kompaktheit ansieht: Finestra senior, Turnlehrer und Eigentümer einer Gymnastik-, Schwimm-, Tennis- und Reitschule, vordem bereits mehrere Legislaturperioden Senator für die MSI/DN, sah sich mal dem rechtsintellektuellen Parteigründer und unentwegten Mussolini-Verherrlicher Pino Romualdi, mal dem 1986 verstorbenen eher gemäßigten langjährigen MSI-Chef Giorgio Almirante nahe, dem Vertreter des „Faschismus im Zweireiher“, der die Ultrarechte zur stabilen parlamentarischen kraft machen wollte. Sohn Paolo dagegen zog es lange Zeit mehr zu radikaleren Personen wie etwa Pino Rauti hin, der als eine Art Pendant zum Strasser-Flügel der deutschen NSDAP galt.

Rauti, der den von Almirante zum Kronprinzen gemachten Gianfranco Fini 1989 für knapp zwei Jahre als Parteisekretär abgelöst hatte, ehe Fini das Comeback gelang, galt vielen jungen Neofaschisten als Vorbild – ein Haudegen, der die von ihm gegründeten MSI- Nachwuchsorganisationen analog zu Mussolinis „Schwarzhemden“ auch als Schlägertrupps verstand. Allerdings verlor er stark an Boden, als er nach der gar nicht so verheerenden Wahlniederlage 1991 sang- und klanglos abdankte. So spielt der heute 70jährige denn auch keine große Rolle mehr in der Partei.

Das hängt allerdings auch mit dem Erfolg zusammen, den Gianfranco Fini bei den letzten Wahlen eingefahren hat, und mit dem erstmaligen Eintritt in eine demokratische Regierung. Das hat alle parteiinternen Kritiker zunächst einmal zum Verstummen gebracht. „Solange Fini auf Erfolgskurs ist“, ruft fast verzweifelt ein Buchhalter namens Ambrosio aus Borgo San Donato während eines Konvents der Alleanza Nazionale ins Mikrophon, „ist es für jeden tödlich, gegen die Parteilinie anzukämpfen.“ Klatschen, dann der Zwischenruf: „Aber wenn er mit seinem Schmusekurs keinen Erfolg mehr hat?“ Schweigen, beredtes Schweigen. Die Versammelten gucken einander an. Sie wissen: Dann beginnt das Hauen und Stechen.

Denn „der Seelen der MSI sind zumindest drei: Nostalgiker, Romantiker, Pragmatiker“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Giuseppe Tatarella schon kurz nach der Regierungsbildung, „und wenn wir auch nur den kleinsten Fehler machen, trennen sich diese drei und der Höhenflug ist vorbei.“

Tatarella selbst, der als einer der wenigen Neofaschisten nie auf die Straße ging, nie in Schlägereien verwickelt war und stets gute Kontakte zu den anderen politischen Parteien hielt, gilt denn auch in Partei und Regierung als bester Feuerwehrmann – ein zäher Vermittler, aber auch ein gewiefter Intrigant. „Nie gegen Tatarella stellen“, hat Almirante seinem Kronprinzen Fini einst auf dem Sterbebett gesagt, und der hat sich bisher daran gehalten: allerdings „sorgt er auch dafür, daß Tatarella keine eigene Strömung in der Partei aufbaut“, wie anerkennend ein Regionalabgeordneter vermerkt. Was zur Folge hat, daß der stellvertretende Ministerpräsident und Postminister jederzeit von allen als Autorität für die jeweilige Position zitiert wird.

So auch hier in Latina: „Tatarella hat gesagt, je weniger wir jetzt auffallen, um so attraktiver sind wir später“, sagt ein Provinzstratege, den seine Kritiker im Saal wegen allzu leiser Töne der Regionaladministration gegenüber tadeln – „Tatarella hat das doch nur für die Regierung in Rom gesagt, du Trottel, doch nicht für die Kommunen und Regionen“, giftet es aus dem Saal zurück.

Tatsächlich schmeckt die seit der Regierungsbildung beobachtete Zurückhaltung nahezu aller Minister der „Nationalen Allianz“ dem Fußvolk ganz und gar nicht. Das zeigt sich, wenn die Sprache auf das „kurze Aufmucken im August“ kommt: da hatte MSI-Umweltminister Matteoli Regierungschef Berlusconi mit gleich mehreren Streitthemen – Abtreibung, Politik der Nationalbank, Jagdfreigabe für geschützte Arten – schwer in Bedrängnis gebracht. Das aber waren nur wenige Tage – es galt, die plötzlich ausgebrochene Eintracht zwischen Liga-Nord-Führer Umberto Bossi und dem Regierungschef zu stören, vor der sich die Nationalen besonders fürchten, kungeln dort doch zwei Erzmailänder miteinander.

Doch schon haben sich die rechten Volksvertreter wieder auf das von Gianfranco Fini verordnete Grundverhalten zurückgestutzt: „Möglichst keine Fehler machen, nicht auffallen, sich nicht blamieren“, diktiert ein Delegierter aus Fondi einer Reporterin in den Notizblock – und setzt dabei zum entsetzen seines Sekretärs ein „fa schifo“ dazu: „Ekelhaft.“

Im Saal befriedigen sich die Redner zu diesem Zeitpunkt im wesentlichen selbst, indem sie sich noch immer an den Erfolgszahlen der Wahlen vom Frühjahr berauschen und „zurückdenken, wie das noch vor einem Jahr war, als wir absolut bedeutungslos schienen“.

Doch so recht zündet derlei Neunostalgie nicht mehr. Alessandra Mussolini, die in Neapel für das Bürgermeisteramt kandidiert und immerhin gute 40 Prozent eingefahren hat, klagte das „Eigenständige“ schon vor einigen Wochen in einer vorangegangenen Provinztagung ein. Und die Witwe Almirante, immer in der Attitüde der Grande Dame der Partei, droht immer lauter, sie werde das bisher von ihr gehütete Testamant ihres Mannes veröffentlichen, wenn „die MSI/DN noch weiter an eigener Identität zu verlieren droht“.

Der Gruß gilt Gianfranco Fini höchstpersönlich: Der Zögling Almirantes ist nach Ansicht vieler Neofaschisten dabei, eine zumindest in Umrissen demokratische Wende glaubhaft zu machen und nimmt dafür möglicherweise auch den Verlust des äußersten rechten Flügels in Kauf. „Eine Katastrophe wäre das“, wie Aimone und Paolo Finestra einhellig erkennen – nicht weil ihnen das von Fini seit einigen Wochen als „auslaufendes Modell“ in Frage gestellte traditonelle Parteisymbol – eine Flamme in den Nationalfarben Grün, Weiß, Rot – allzusehr am Herzen liegt, sondern weil sie (der Altfaschist und der junge Stürmer) beide ein „abschreckendes“ Beispiel vor Augen haben: Den Wandel der ehemaligen Kommunisten hin zur demokratischen Partei. „Da dachten zuerst auch alle, die Aufgabe des alten Symbols von Hammer und Sichel sei nur eine Umetikettierung. Doch am Ende ist dann zuerst der äußerste linke Rand der Stalinisten weggeplatzt, was man erwarten konnte; aber bald danach ging auch noch der demokratisch-zentralistische um Pietro Ingrao verloren, und das hat die Linke schwer geschwächt; sie hat kein Profil mehr“, sagt Paolo, und sein Vater setzt dazu: „Dabei sind die von einer Basis mit über 25 Prozent aus gestartet, die MSI aber hat traditionell nie mehr als sechs bis acht gehabt, und was nun dazugekommen ist, kann man noch lange nicht als gefestigte Wähler der Nationalen Allianz ansehen.“ Zerreißproben sollte man daher füglich nicht provozieren, „und schon gar nicht überflüssige“.

Doch Fini steht derzeit auch nach Meinung einfacher Geister aus der Provinz schon fast mit dem Rücken zur Wand: „Der hat mit seiner Nationalen Allianz seine Spielwiese mit schlauen Köpfen, aber die Basis rutscht ihm weg“, erzählt ein alter Kämpe, Jahrgang 1918. Unter „Basis“ versteht er dabei wohl vorwiegend Leute seines Schlages, „die den nationalen Gedanken jahrzehntelang weitergetragen haben und die sich die Tradition, die Mussolini verkörpert hat, nicht so einfach kaputtmachen lassen“. Daß Fini machiavellistisch einen harten Schnitt wagt und die Nostalgiker kappt, halten inzwischen viele für wahrscheinlich: Zu sehr sitzt ihm die Angst im Nacken, bei einem weiteren Machtverfall Berlusconis nicht sofort in die dann entstehende Lücke springen zu können, weil ihm die Altfaschisten das Image verhageln.

Übel nehmen ihm die Parteigenossen in der Provinz vor allem, daß er „sich fast schon jedem an den Hals wirft, der die angebliche Basiserweiterung verspricht“. So hat er allen Ernstes das Projekt einer Vereinigung der Nationalen Allianz mit der Forza Italia Berlusconis erwogen – „ein Alptraum“, wie ein Sektionssprecher aus Formia moniert: „Dem scheint ganz entfallen zu sein, daß unser Programm ausdrücklich antikapitalistisch ist, daß es die große Industrie bändigen, den Mittelstand stärken will, daß wir Monopole bekämpfen und den Umweltschutz ganz groß schreiben – alles Dinge, über die Berlusconi nur lacht.“

Ärger gibt es während derlei Wortgefechten allerdings sehr schnell, wenn ein Journalist hartnäckig fragt, wo denn bei alledem jener Teil der militanten Rechten bleibt, der vordem immer für Furore gut war: Schläger und Rabauken, die gerne mit Runenkreuzen herumzogen und vor allem gegen linke Demonstranten mobilmachten. Nicht, daß die MSI-Kämpen sich derlei schämen würden, im Gegenteil: Seit Gianfranco Fini während des Wahlkampfes in Rom und unmittelbar nach seiner – knappen – Niederlage „absolute Ruhe“ verordnet und jeden rechten Randalierer zum „Skinhead, der eher ins Arbeitslager gehört als zu uns“ erklärt hat, sehen sich viele Ultrarechte als zwangsverordnete Weichlinge, wo es doch „bei all dem Aufwind des nationalistischen Gedankens so schön wäre, Kommunisten und Homos zu klatschen“, wie ein Fernfahrer mit Lederjacke und sichtbar aus der Tasche lugendem Kampfstern zwischen die Debattenredner warf. Daß ihn nur die Saalwache hinausschaffte, bei den Teilnehmern aber eher betretenes Schweigen herrschte, deutet wohl daraufhin, daß hier viel Kreide gefressen wurde, von der keineswegs sicher ist, daß man sie nicht doch alsbald lieber wieder ausspuckt. Nur mühsam verhohlene Freude ist jedenfalls bei vielen MSI-Kombattanten zu beobachten, wenn die Sprache auf die von Abgeordneten der Nationalen Allianz provozierte Schlägerei im Parlament kommt, als diese den Berichterstatter der Kommission zur Umgestaltung des staatlichen Rundfunks RAI nach einigen provokanten Äußerungen tätlich angriffen.

Tatsächlich gärt es stärker unter der scheinbar ruhigen Oberfläche der MSI/DN, als die Parteioberen zugeben: die „heilige Dreieinigkeit“ der wichtigsten „Seelen“ hält nur noch bedingt. Die Flügel haben ihre traditionellen Kampfgesänge nur in Hinterzimmer verlegt, die Auseinandersetzungen sind keineswegs beigelegt. Eine erste Abrechnung könnte im kommenden Frühjahr fällig sein, wenn erneut eine größere Anzahl Italiener zu den Urnen gerufen wird – für Kommunal-, Provinz- und Regionalparlamente. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Paolo Finestra trotz des immer noch großen Konsenses, den er in seiner Stadt Latina für seinen Vater zu spüren glaubt, „man kann sich schnell verschleißen. Und das wäre nicht nur das Ende eines Höhenflugs, sondern das Ende unserer Partei als solcher. Die mittlerweile zu uns gestoßenen Pragmatiker würden zu Berlusconis Forza Italia gehen, einige Leute im Norden wohl eher zu den Ligen, weil da auch noch etwas Patriotismus gepflegt wird – und die alten Dinosaurier wie ich sterben sowieso aus.“

Das freilich ist noch nicht ausgemacht. Bei den kommenden Regionalwahlen jedenfalls wollen sich noch mehr ältere Semester als vordem schon als Kandidaten präsentieren und den pragmatischen jungen Spunden Paroli bieten. Für Gianfranco Finis Reformversuch „eine tödliche Gefahr“, wie einer seiner Berater, der bei der Tagung in Latina nach dem rechten sehen sollte, hinter vorgehaltener Hand brummelt. Die Zerreißprobe kommt möglicherweise früher als geplant.