Geheuchelte Selbstkritik besiegelt Reynolds' Ende

■ Irlands Premier ging, sein Richter auch

Dublin (taz) – Die irische Koalitionsregierung ist nach zwei Jahren Amtszeit am Ende. Nachdem die Labour Party angekündigt hatte, daß sie in der Vertrauensfrage gegen Premierminister Albert Reynolds vom Koalitionspartner Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) stimmen wollte, warf dieser gestern vormittag noch vor dem Votum das Handtuch. Darüber hinaus erklärte er seinen Rückzug aus der Politik. Die Opposition würdigte vor allem seine Verdienste um den Friedensprozeß in Nordirland.

Wie es weitergehen wird, ist unklar. Fianna Fáil wählt am Samstag einen neuen Vorsitzenden – Favorit ist Finanzminister Bertie Ahern. Möglicherweise setzt Labour dann das Bündnis fort. Denkbar ist aber auch eine Regenbogenkoalition aus Labour Party und den drei größten Oppositionsparteien oder Neuwahlen.

Das Scheitern der Koalition hatte sich seit einer Woche angekündigt. Reynolds hatte letzten Freitag seinen politischen Weggefährten, den Generalstaatsanwalt Harry Whelehan, zum Präsidenten des High Court ernannt – gegen den vehementen Widerstand der Labour Party, die den Opus-Dei-Mann ablehnte, weil er neben zahlreichen anderen umstrittenen Entscheidungen einen Auslieferungsantrag für den wegen Kindesmißbrauchs angeklagten katholischen Pfarrer Brendan Smyth sieben Monate lang ignoriert hatte. Am Mittwoch nachmittag ließ Reynolds Whelehan fallen, weil „neue Dokumente“ aus dem Büro des Generalstaatsanwalts bewiesen, daß dieser gelogen habe. „Wäre er noch Generalstaatsanwalt“, sagte Reynolds, „dann müßte er unverzüglich zurücktreten.“ Inzwischen tat Whelehan dies auch als Richter, aber sein Amtsverzicht kam erst gestern abend, zu spät, um Reynolds noch zu retten.

Denn nur eine Stunde nach Reynolds' Selbstkritik war herausgekommen, daß er ebenfalls gelogen hatte: Die Dokumente, die angeblich seinen Meinungsumschwung gegenüber Whelehan ausgelöst hatten, waren bereits seit Montag in Reynolds' Besitz. Das hatte er am Dienstag im Parlament verschwiegen. Ralf Sotscheck