Mal herzlich, mal makaber

■ Die 85jährige Chansonette Maria Monté gibt heute eines ihrer letzten Konzerte mit „Chansons Macabre“ in der Künstlerpension Sarah Peterson

Eine Einzimmer-Paterrewohnung mit Ausblick auf eine Häuserwand in der Innenstadt, es ist duster, der verregnete Novembernachmittag färbt ab ins Innere. Maria Monté knipst eine kleine Tischlampe an, damit wir „ihre Jungs“ betrachten können. „Ihre Jungs“, das sind einige mexikanische Kiemenmolche, die unbestimmt freundlich aus ihrem Terrarium ins Zimmer blicken. Der Anblick dieser Lebensgenossen ist ohne die fürsorgliche Begeisterung der Besitzerin allerdings etwas gewöhnungsbedürftig, denn die Tierchen erinnern von ferne doch stark an menschliche Embryonen.

Diese eigenartige Vorliebe für südamerikanische Schwanzlurche steht aber durchaus in Harmonie mit dem bizarren und gleichzeitig ungemein herzlichen Wesen der Hamburger Chansonsängerin, die heute abend in der Künstlerpension Lange Reihe einen ihrer wahrscheinlich letzten Auftritte mit „Chansons Macabre“ geben wird. Denn die Fünfundachtzigjährige sagt frei heraus: „Ich kann nicht mehr“. Noch dieses Jahr möchte sie endgültig aufhören – nach über 50 Jahren aktiver Laufbahn, in deren Verlauf sie die Clubs und Bars des europäischen Kontinents inklusive der ehemaligen Sowjetunion bereist hat.

Ihr Auftreten ist nach dieser langen Zeit im „kleinen“ Showbiz eine Mischung aus Verbitterung über die Güte der Menschheit, deren Schlechtigkeit sie in ihren Liedern in grellen Farben malt, und einer eisernen Energie, „ihr Ding“ durchzuziehen. Vital und energisch kann Maria Monté über ihr wechselvolles Leben erzählen und nach zwei Stunden ist die Wißbegierde des Zuhörers eher noch gesteigert als ermüdet.

Einen eisernen Willen hatte Maria Monté bereits als Kind. Gegen das Verbot ihrer Mutter nahm sie Ballett- und Schauspielunterricht, den sie mit dem Sammeln von Flaschen und Kartoffelschalen finanzierte. Mit vierzehn besuchte sie dann eine Kunstschule, was später dazu führte, daß die Nationalsozialisten sie zur technischen Zeichnerin für die Rüstungsindustrie umschulen wollten. Doch als „außerordentliches Talent“ wurde sie dann doch zurückgestellt und konnte so Sängerin werden.

Als ihr Mann von seinem eigenen Chef als Hitlergegner denunziert wurde und ins Straflager und später an die Front kam, wendete sich das Schicksal gegen sie. Während ihr „Mann da draußen im Dreck lag“, wo er später auch fiel, mußte sie sich zur Aufmunterung von Nazi-Offizieren verdingen, die sich mit kühlen Getränken im sommerlichen Garten räkelten. Noch heute schießt ihr die Zornesröte ins Gesicht, wenn sie daran denkt. Ihr einziger Sohn starb mit drei Jahren in einer Bombennacht. Sie selber wurde als angebliche Jüdin angezeigt. Mit Mühe konnte und mußte sie beweisen, daß sie „arisch“ war.

Daß nach einem derartigen Leben ein sensibler Mensch mit seinen Liedern „etwas“ aus dem Rahmen fällt, verwundert nicht. Verbittert und zornig karikiert sie deutsche Herrenmonster bis zur Kenntlichkeit. Etwa in einem Stück über Kindesmißbrauch, in dem eine 14jährige von dem Vater, dem Arzt, dem Briefträger und einem Staatsrat vergewaltigt wird, oder einem anderen Stück über leichenausbuddelnde Ärzte. Reue oder ein Happy-End? Fehlanzeige. Maria Montés Lieder, die sie mit dem Texter und Komponisten Heinz Ullrich erarbeitet, vermitteln Hoffnung höchsten durch zynische Zwischentöne.

Der Ort, an dem sie heute auftreten wird, ist nicht weniger individuell und exzentrisch. Die Künstlerpension in der Langen Reihe von Sarah Peterson, die das Haus in familärer Atmosphäre jetzt seit zehn Jahren leitet, ist ein Kleinod an krudem Mobiliar und Anekdoten. Die Zimmer weisen zwar nicht den Komfort auf, der mittlerweile zu den Standards in Hotels und Pensionen gehört – Badezimmer und Toiletten etwa liegen auf dem Flur –, aber dafür herrscht hier ein dezentes Flair von Mondänität und Bohème, das Künstler wie Rosa von Praunheim oder Peggy Parnass zu treuen Gästen des Hauses werden ließ. Die Zimmer sind individuell eingerichtet, teilweise plüschig, manchmal etwas nüchterner. Die Möbel ergeben ein unordentliches Sammelsurium aus verschiedenen Epochen. Der Aufenthaltsraum, eigentlich privates Wohnzimmer und Büro der malenden Künstlermutter, wird für besondere Anlässt wie das Konzert von Maria Monté zum Veranstaltungsraum umerklärt. Dazu wird einfach der Schreibtisch hochgeklappt, die privaten Dinge etwas beiseite geräumt und ein paar Stühle reingestellt. „Madame et Monsieur: Maria Monté!“ Martje Schulz

Künstlerpension Peterson, Lange Reihe 50, 20.30 Uhr, Karten unter Tel: 24 98 26