„Unsere Hörer sind Neugierige“

■ Die NDR-Hörspiel-Matinée wird am Sonntag im Abaton zehn Jahre alt / Marion Fiedler und Sibylle Becker-Grüll von der NDR-Redaktion zu Profil, Programm und Zukunft des Hörspiels

taz: Wie ist die Abaton-Matinée entstanden?

Becker-Grüll: Es war ein Experiment. Wir wollten ein Publikum erreichen, das kaum zu unseren Hörern gehörte, das heißt ein anspruchsvolles junges Publikum.

1984 haben wir in Zusammenarbeit mit Werner Grassmann, dem Betreiber des Abaton, Jürg Laederach eingeladen und sein Hörspiel Hotel der grauen Schmerzen vorgestellt. Danach gab es ein Liveprogramm. Der Versuch gelang, und wir haben ihn fortgesetzt.

Ist Ihr Publikum tatsächlich das jüngere Publikum, das Sie sich gewünscht haben?

Becker-Grüll: Das Publikum ist gemischt. Es kommen junge Leute, die technisch sehr interessiert sind – ich nenne sie die „Hörfreaks“. Es kommen auch literarisch interessierte Leute, denn jeder Autor hat seine Fangemeinde.

Was war für Sie die spannendste Matinée?

Becker-Grüll: Draußen vor der Tür mit Will Quadflieg. Es war selbst im großen Kino sehr voll. Es ergab sich eine lebhafte Diskussion mit den Besuchern über den Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich. Das war für mich eine der schönsten Veranstaltungen. Auch Enzensberger mit seinem Stück Requiem für eine romantische Frau hat mir sehr gut gefallen. Bruno Ganz, der die Hauptrolle spielte, hat nachher Teile aus dem Buch vorgelesen, die im Hörspiel nicht vorkommen.

Es fällt auf, daß es nicht viel Werbung für das NDR-Hörspiel gibt. Auch Ihr eigener Sender weist kaum auf Ihre Sendungen hin.

Fiedler: Das ist sicher etwas wenig, doch wir können fast nur im eigenen Senderahmen werben, indem wir auf unser halbjährlich erscheinendes kostenloses Programmheft hinweisen. Dieses Heft hat im Moment eine Auflage von 6000 Exemplaren. In jedem Halbjahr steigern wir sie um fast 500 Interessenten, die wir in den Verteiler aufnehmen. Wir haben das Gefühl, die Hörer entdecken uns geradezu.

Wichtig ist aber in erster Linie ein fester Sendeplatz. Wir haben gerade eine Programmreform hinter uns, bei der unsere Sendeplätze gewechselt wurden.

So ist der Krimi auf den Samstagmorgen gerückt, weil der WDR seit 20 Jahren große Erfolge mit diesem Termin hat. Aber er scheint sich im Norden nicht durchsetzen zu wollen. Die Leute jammern, daß sie dann einkaufen gehen müßten. Vielleicht wird der Termin bei allgemeinen Programmumstellungen noch ein weiteres Mal geändert.

Becker-Grüll: Wenn man den Sendeplatz wechselt, braucht man Geduld, bis er sich eingebürgert hat. Es ist nicht so wichtig, wo er ist, die Leute müssen wissen, wann er ist. Wichtig ist die Konstanz.

Gehen die Sparzwänge im Sender an die Substanz Ihrer Produktionen?

Fiedler: Im Augenblick gibt es eine Aussage der Spitze des Hauses, das Hörspiel werde gewünscht. Die Intendanz zählt es zum Grundversorgungsauftrag. Wir sind nicht stranguliert.

Gibt es ein besonderes Profil des NDR-Hörspiels?

Fiedler: Grundsätzlich ist das NDR-Hörspiel für seine literarische Qualität bekannt und geschätzt. Andere Sender sind nicht so eindeutig auf diese Richtung festgelegt. Wir bieten auch thematische Schwerpunktreihen an. Dabei versuchen wir, gesellschaftspolitische Diskussionen aufzugreifen und zu Themenreihen zusammenzufassen. Hier werden neue Produktionen und Historisches verbunden, etwa zum Thema „Deutsch sein“ und „Kolonialismus“.

Unterscheiden Sie also nach den Themen, während der WDR nach der Form unterscheidet?

Fiedler: Es müssen nicht immer inhaltliche bestimmte Reihen sein. Im kommenden Programm werden wir uns mehr um den formalen Aspekt kümmern. Ausgehend vom Geburtstag Paul Pörtners, der auch hier im Haus viele Initialzündungen für Hörspiel-Experimente gegeben hat, werden wir die Geschichte dieser experimentellen Kunstform aufzeigen.

Ihre Programmpolitik zielt darauf ab, die Minderheit von Hörern zu behalten, die man als Einschalthörer bezeichnet. Werden Sie sich noch einmal trauen, die anderen Hörer mit ihrem Programm zu belästigen, zum Beispiel kurze Hörspiele auf anderen Kanälen zu senden?

Fiedler: Diesen Versuch würden wir gerne machen. Allerdings möchten wir nicht von den derzeitigen Programmangeboten, die eindeutig öffentlich-rechtlich sind, Abstriche machen müssen. Unsere literarische Grundtendenz wollen wir beibehalten und in Zukunft mehr auf Gegenwartsströmungen eingehen und Autoren wie zum Beispiel Rainald Goetz vorstellen. Dem jüngeren städtischen Publikum möchten wir das Gefühl vermitteln, daß im Hörspiel Wahrnehmungen der Zeit, unserer Umwelt und der Lebensbedingungen gespiegelt werden.

Becker-Grüll: Ich teile Ihre Ansichten über die Hörgewohnheiten nicht ganz. Ich habe gelernt, wie willig Menschen sind, sonntagmorgens aufzustehen, in ein halbdunkles Kino zu gehen und sich auf Stücke zu konzentrieren, die keineswegs immer so auf Anhieb zugänglich sind. Diese Menschen werden nie eine Mehrheit sein, aber es wird immer mehr Leute geben, die sich für das Hören interessieren.

Fiedler: Es ist sicher auch ganz wichtig, daß man in einem Programm bestimmte Teile wiedererkennen kann, um sich dort wohl zu fühlen. Doch es muß dort wieder Punkte geben, wo man mit Neuem konfrontiert wird. Sonst lernt der Mensch ja überhaupt nichts Neues dazu. Unsere Hörer sind die neugierigen Hörer. Sie wollen noch etwas erfahren, über das hinaus, was sie schon kennen und lieben.

Fragen: Peter Schmitz

Am Sonntag ist im Abaton um 11 Uhr „Am Hoffnungsberg“ von Doris Gehrke zu hören.