Mahagoni zu Preßspan

■ Design aus Barcelona: ein spannendes Spiel der Gegensätze im Bremer Landesmuseum

Neue Bescheidenheit? Aber woher. „Ich möchte nichts Bescheidenes schaffen“, sagt Jorge Pensi; Bescheidenheit im Produktdesign „halte ich für eine bigotte Attitüde.“ Dann lieber so: kraftvolle Formen und kostbare Materialien, feurig leuchtend und festlich glänzend, bildmächtig und – trotz alledem – funktional. So ist die Sprache des spanischen Designs, wie es sich in einer hinreißend schönen und spannenden Ausstellung im Bremer Landesmuseum darbietet. Spannend, weil hier die Arbeiten zweier sehr verschiedener Designer-Generationen aneinandergeraten, daß es nur so funkt. Und hinreißend schön, weil fast alle Stücke – von der noblen Chaiselonge bis zum Münzfaxgerät – von großer stilistischer Konsequenz und Harmonie geprägt sind. Nichts erinnert in dieser Schau an den schnöden Alltag industrieller Serienfertigung; die Designpreziosen werden als autonome Kunstobjekte gefeiert. Und das zu Recht. Wozu bescheiden sein, wenn man mit solcher Qualität prunken kann?

Der Mut zu solcher Prächtigkeit ist unter den Bremer Kulturmanagern nun nicht sonderlich ausgeprägt. Also hat man ihn eingekauft. Und da haben die Veranstalter – neben dem Landesmuseum auch das Designzentrum – mal einen Glücksgriff getan. Mit dem Frankfurter Georg Bertsch, nicht nur vollblütiger „Designmanager“, sondern auch der unangefochtene Spanienkenner der Branche (“ich bin eine Art anonymer Barceloniker“). Bertsch ließ fünf namhafte Designer ihre Lieblingsstücke auskramen und stiftete zugleich fünf junge Talente an, die Edelwaren für die Bremer Ausstellung in Szene zu setzen. Ohne viel Geld, und ohne gleich wieder an die Vermarktbarkeit des schönen Unternehmens zu denken.

Das Ergebnis ist eine Ausstellung, die sich „zu einer radikalen Subjektivität“ bekennt, sagt Bertsch. Er gehe eben davon aus, „daß Gestaltung immer ein psychischer Prozeß zwischen einzelnen Menschen ist, nicht zwischen abstrakten Konstrukten wie Märkten, Firmen, Institutionen.“ Die Kreativen selbst stehen ganz im Blickpunkt seiner Schau – nicht die Ware. Und die Objekte sind in so liebevoller Weise inszeniert, in symbolschweren und zugleich witzigen Arrangements, daß sie fast als Persönlichkeiten erscheinen. Das steht der jüngsten Politik des Designzentrums zwar ziemlich entgegen – in tonnenschweren Festreden wird hier immer wieder krampfhaft das wirtschaftliche Gewicht der Handelsware Design betont. Gegen diese, für das kreative Design tödliche Tendenz hat Bertsch sich offenkundig durchsetzen können – vielleicht sein größter Verdienst für diese Schau.

Denn das Experiment ist ihm gelungen, der Mut hat sich gelohnt. Ein Konzept, das auf Subjektivität setzt, das „sich völlig auf Emotion verläßt, um daraus Neues zu schaffen“ – das hat die Spanier offenbar enorm befeuert. Genau diese Qualitäten sind es schließlich, die viele der Barcelonastücke auszeichnen: der Appell ans Gefühl, die Freude am persönlichen Ausdruck – eine „Sehnsucht nach Schönheit“, sagt Bertsch, liegt den katalanischen Kulturmenschen halt zugrunde.

Da wölben sich die Teekännchen in erotischen Volumina, blaues Licht umschmeichelt die edelstählernen Oberflächen, dieweil es aus dem Bauch gar goldig funkelt; da schmiegt sich feingegerbtes Rindsleder an ein Edelholzgestühl, dessen ausschweifende Formen dem guten Gaudi, Schutzgott der katalanischen Künste, zur Verzückung gereicht hätten. Was bei anderen Designern in Schwulst und Schmus geendet hätte – den Spaniern gelingt es glänzend, ohne in kitschige Gefilde abzudriften.

Das wäre allerdings nur der halbe Spaß. Besonderen Reiz bekommen die Schaustücke zusätzlich durch ihre waghalsige Präsentation. Denn die fünf jungen Designer aus Barcelona wollten nun nicht bloß die Alten loben und ehren. In ihren spielerischen, bilderreichen und teils dramatischen Inszenierungen brechen sie auch mit dem Pathos der Klassiker. Und fördern dabei viele verborgene Ansichten der Designstücke zu Tage. Die edlen Rauchglasflakons, in die André Ricard seine Herrendüfte einkleidet, finden sich hier in einer religiös anmutenden Zeremonie wieder. Jordi Torres hat die guten Stücke auf einer Holztafel drapiert, Weihegefäßen gleich; eine Schar von Krücken trägt die Gaben fort. Der Surrealismus eines Dali, mit seinen ewig dahinschmelzenden Formen und all ihrem quasisexuellen Bedeutungswust, wird hier feierlich enthüllt, und zugleich als beständiger Quell der Inspiration für Spaniens Kulturschaffende gepriesen. Eine „Hommage“ an die Klassiker hatte Bertsch im Sinn; die Jungen haben dies ein bißchen großzügig ausgelegt und bieten nun vielseitige und tiefschürfende Interpretationen statt Lobhudelei.

So trifft Elegantes auf Sperriges, Mahagoni auf Preßspan. Die schlicht ergreifenden Büromöbel von Ramon Benedito hat seine junge Kollegin Meritxell M. Duran in eine richtige, kleine Ritterburg eingebaut. In jeder Nische glänzen die edlen Gaben des ehrwürdigen Barcelona-Design. Aber droben, von den Zinnen, blinzeln ein paar Kreuzschlitzschraubenköpfe dem geneigten Designinteressierten neckisch zu – alles dünne Fassade, alles schöner Sein. Barcelona feiert sich; aber nicht ohne ironische Seitenblicke auf die weniger repräsentativen Seiten des Geschäfts.

Auf allzuschlaue Erklärungstafeln haben die Ausstellungsmacher übrigens verzichtet. Den (im übrigen sehr aufschlußreichen) Textteil hat Bertsch, wiederum gegen alle Widerstände der zagen Bremer, in einen Nebenraum auslagern lassen. Die Objekte sind sich in der Tat selbst genug – ein opulentes Tableau, das sich da in den Hallen des Landesmuseums ausbreiten darf. Wann sah das Haus jemals besser aus? Thomas Wolff

„Barcelona-Design“, bis 8.1. '95 im Bremer Landesmuseum/Focke-Museum