Wand und Boden
: Ein Magengeschwür als Objet trouvé

■ Kunst in Berlin jetzt: Orlan/Bec/Stelarc, Fricke, Grommek

Unter einer Vielzahl von modernen Begriffen fast verschwunden: der Körper. Auch die NGBK-Ausstellung „Erzeugte Realitäten II – Der Körper und der Computer“ würde gerne glauben machen, daß der virtuellen Realität nichts Menschliches fremd ist. Also läßt sich die Französin Orlan auf dem Schneidetisch im OP ein Lächeln wie das der Mona Lisa über die Original- Lippen modellieren, während ihr Landsmann Louis Bec lustige Glibbertiere zusammenpixelt, die er anschließend mit Hilfe eines Instituts für „paranaturalistische Untersuchungen“ zoosystemisch ordnet und erfaßt. Und der Australier Stelarc schließt seinen Körper an Stahlprothesen, Rechner oder Bildschirme an, die dann aufzeichnen können, was er aus dem Bauch heraus denkt: eine bläulich schäumende Suppe, die uns mittels Videoclip und Katalogtext sagen möchte, daß im Zeitalter technologischer Sinneswahrnehmung die biologischen Grenzen durchbrochen sind. Übrig bleiben ein Magengeschwür als objet trouvé und sehr viel medizinischer Realismus. Denn wie immer die Zukunft sein mag, in erster Linie werden die Aussichten auf Sci-Fi-Plateaus, Mutanten und Cyberspace mit recht vertrauten, konventionellen Medien dargestellt. Die expressionistisch gefilmte Magenspiegelung flimmert über einen Fernsehmonitor, Orlans zerdetschtes Gesicht wird auf schulmäßigen Fototafeln dokumentiert, und durch die Becsche Botanik muß man sich mit der Computermaus klicken. Daß zumindest Orlan und Stelarc vom Aktionismus der 70er-Jahre-Performance-art kommen, läßt sich nur der äußerst schmalen Künstlervita entnehmen. Für ein besseres Verständnis der hochmodernen Body-art wären mehr Informationen und weniger Theorie hilfreich gewesen. (Wer zum Beispiel zahlt eigentlich für die schönheitschirurgischen Happenings: Krankenkasse oder Kunstverein?) So aber setzt die Ausstellung auf Bildeffekte, und der Katalog hangelt sich quer durch den Diskurs von Kittler bis Butler.

Bis 27. 11., täglich 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25

In der Galerie Anselm Dreher kommt nicht der Körper zur Anwendung, sondern die Sprache. Auch hier muß man um drei Ecken denken, um nicht gleich an den vier Wörtern vorbeizurauschen, die mit schwarzer Folie in Druckbuchstaben an die Wand geklebt sind – minimalistisch für jeden Raum eines, aus Tradition. Dort gibt es METHOS, QUIX, EXPLOM und AVANZ zu lesen, daneben irgend etwas Kleingedrucktes, angeblich Geschäftsbedingungen. Letzte Überbleibsel der Schriftarbeiten von Lawrence Weiner oder Joseph Kosuth kommen einem in den Sinn, bedeutungslose Sprachspiele zunächst, doch mehr Dada als Gaga. Adib Fricke hat eine Firma namens „The Word Company“ gegründet, die mit künstlichen Begriffen handelt: Jedes Wort ist eine Ware, so wie die Industrie ständig neue Trademarks für ihre Produkte entwirft. Per Zufallsgenerator werden bei Fricke nun vom Computer zweisilbige Wörter zusammengescrabbelt, die an Slogans aus Werbe-, Medien- und Wissenschaftspop erinnern. Dennoch sind schnell metonymische Umdeutungen, Verschiebungen für den Nonsens gefunden, so sicher wie hinter dem AVANZ eine weitere Theorie der Avantgarde steckt – verschwundene Autorschaft, Zufallspoesie: Text, der sich selbst schreibt. Gerade in der totalen Berechnung des Programms bleiben die Zeichen zwar autonom, bis sich vielleicht ein Käufer findet, der für die Wörter Dinge schafft. Doch auch für diesen Fall hat Fricke eine Regelung getroffen, die seine theoretischen Modellzeichen nicht kampflos der Praxis übergibt: „Das Inhaberrecht beinhaltet kein Recht zur kommerziellen Nutzung oder Verwertung der Wörter.“ Der Künstler aber verläßt sein Betriebssystem nicht. Fricke produziert fiktive Begriffe, deren Kritik dummerweise gleich mitgeliefert wird. „Gleichgültig, ob eine Ideologie zu verbrämen, ein Produkt am Markt zu plazieren oder eine neue Kunst anzudienen ist, das Finden und Verbreiten eines Namens besetzt in Propaganda und Reklame (wie in der Kunstkritik) eine zentrale Position, und ist der Ruf erst einmal etabliert, werden die Leute den Scheiß schon glauben oder kaufen“, schreibt Joachim Schmid im Beiblatt. Ansonsten gilt für die Ausstellung: beste WENSEN.

Bis 26. 11., Di–Fr 14–18.30, Sa 11–14 Uhr, Pfalzburger Straße 80

Ein gewisses Maß an Bio und Techno wirkt auch in den „Flecken“ von Joachim Grommek nach, der seine obergärigen Bildertafeln – meist zwischen zwei Acrylglasscheiben versiegelt – in der Galerie Michael Haas zeigt. Von abgestandenen Spermatropfen auf zerschlissenen Laken über hochvergrößerte Hirnschichtenradiographien bis zu esoterischer Embryonalmalerei reicht das Spektrum der Assoziationen, während man sich an Reihen von milchig ausgeflockten Gelb- und Blauschimmelwerten vorbeibewegt. Gleich links am Eingang hängt ein Rechteck mit einer Art aufgetrockneter blauer Tinte, der ein wenig fleischfarbene Flüssigkeit untergemischt wurde. Das Ganze wird zur Zeit des Auftrags wie im Labor kurz reagiert haben, um sich danach ganz unexperimentell wieder in zwei Schichten zu trennen. Nun schimmert das Feld aus der Tiefe rosa unter einer nachtblauen Oberfläche. Doch die Farben bleiben seltsam stumpf: Alles scheint durch, aber nichts leuchtet. Denn Grommek arbeitet selbst bei anmutigst wirkenden Aquarellklecksen in zarten Pastelltönen mit kunstfremden Materialien. Buttermilch, Joghurt, Cola, Kobaltchlorid, Zitronen-/Grapefruitsaft, Safran, Multivitamintabletten – das alles wird mit Kunstharz gebunden und soll mehr dem schönen Schein dienen als einer Dialektik von Naturprodukt und Techno-Imaginärem. „Ich nehme das Alltägliche und mache es interessant, ich nehme das Interessante und mache es banal. Ein Tropfen dreckiges Spülwasser ist banal, aber wenn man ihn durch ein Mikroskop betrachtet, wird er interessant, denke ich. Abhängig davon, wie man es betrachtet, wird ein Objekt aktiv, visuell aktiv“, hat Grommek in einem Interview Damien Hirst erklärt, der bei blaßflockenden Bildflüssigkeiten lieber Buttermilch und Mutterbrust zusammensymbolisiert hätte. Grommek dagegen hält es mehr mit dem Impressionismus, der Farbigkeit der Dinge, die sich hier allerdings ohne viel Künstlerakribie wie von allein konstruiert. Vielleicht hätte schon Van Gogh seine Sonnenblumen einfach nur mit Safran malen sollen.

Bis 3. 12., Mo–Fr 10–12.30 und 14.30–18 Uhr, Sa 11–14 Uhr, Niebuhrstraße 5 Harald Fricke