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Dunkle Geschäfte am Strand

Drei Minuten braucht ein Schnellboot von Gibraltar bis zum spanischen La Linea, um Tabak zu schmuggeln. Die Grenzer sind machtlos  ■ Aus La Linea Antje Bauer

„Was mir wirklich Sorgen macht, das sind meine Jungs in La Linea“, hatte der Oberstleutnant Jorge Ortiz gesagt und beunruhigt die Stirn gerunzelt. „Die werden dort von den Frauen angegriffen und mit Steinen beworfen und können sich nicht richtig wehren. Was sollen sie denn tun? Auf Fischerfrauen schießen?“

Gleich an der ersten Kreuzung der Ortszufahrt zu La Linea, in der Deckung eines Mäuerchens, stehen „die Jungs“ des Oberstleutnants: eine kleine Gruppe „Guardias Rurales“, Spezialtruppen für Aufstandsbekämpfung. Junge Milchgesichter in martialisch schwarzer Uniform und Springerstiefeln, Tränengasgranaten und Gummiknüppel in der Hand. „Jetzt kommt hier nichts an, heute ist ja Stadtfest von La Linea, da wollen die Leute feiern“, sagt Pepe Moral und zieht mit seinem knatternden Auto an den Rambos vorbei. Er muß es wissen, er ist Stadtrat der Kleinstadt.

An der Playa de la Atunara herrscht heute Ruhe. Vor kleinen Geräteschuppen, die auf den Strand verteilt stehen, sitzen Großfamilien und essen. Es riecht nach gebratenen Sardinen und Tortilla. „Früher stand der Strand hier voll mit diesen Schuppen. Aber wir haben sie abreißen lassen“, sagt Pepe Moral. „Die Leute sagten, sie würden dort ihre Fischereigeräte unterbringen, aber das war gelogen. Sie haben diese Schuppen als Lager benutzt.“

Die Playa de la Atunara ist der größte Strand der Kleinstadt. Doch bekannt ist er nicht nur deshalb. Hierher rauscht die Mehrzahl der Schnellboote aus Gibraltar, um Kartons abzuladen: braune Kisten voller Zigarettenschachteln für den Schwarzmarkt. Es sind schwarzgestrichene Boote, die zumeist nachts anlanden, um nicht gesehen zu werden. Wenn eine Patrouille der Küstenwache auftaucht, kehren sie schnell in britische Hoheitsgewässer zurück, wo niemand sie behelligen kann. Sie sind ohnehin schneller als die spanische Küstenwache. Das hatte auch Oberstleutnant Jorge Ortiz betrübt mitgeteilt. Am Strand werden die Bewegungen der Schnellboote vom Auftraggeber mit Nachtferngläsern und Walkie-talkies verfolgt. Eine Gruppe Träger steht bereit. Wenn sie die Rurales irgendwo sehen, fährt das Schnellboot an das andere Ende des Strands oder an die Playa del Levante und wirft dort die Kartons an Land. Ehe die Rurales dort sind, ist der Spuk meist schon vorbei.

„Hier wird der größte Schwarzhandel von der ganzen EU betrieben“, schätzt Maria Munoz Mena, ehemalige Staatsanwältin von La Linea. „Und es nimmt noch zu.“ Die Kartons werden in Gibraltar legal für den Export bestimmt – der Rest geht die gibraltarischen Hafenbehörden nichts mehr an. Allein in Gibraltar sind 300 dieser Schnellboote offiziell angemeldet – insgesamt sollen 600 in Sachen Tabak unterwegs sein. Drei Minuten braucht ein Schnellboot, um 50 Kartons mit je 20 Zigarettenstangen vom britischen Freihafen bis zum spanischen Festland von La Linea zu bringen. Der Ort, der im vergangenen Jahrhundert als Schlafstadt der spanischen Arbeiter angelegt worden war, die in Gibraltar arbeiteten, aber dort nicht wohnen durften, lebt heute zu 25 Prozent von diesem Schwarzmarkttabak.

„Es ist Unsinn, den Tabakschmuggel zu verfolgen, solange man den Leuten keine Arbeitsplätze verschafft“, schimpft Stadtrat Pepe Moral. Doch er macht sich Sorgen. In letzter Zeit werden die Tabakrouten zunehmend auch für den Schmuggel von Haschisch genutzt. Damit aber wird viel mehr Geld verdient. Aus Galicien sind Schmuggler hier eingetroffen und haben mafiöse Banden gebildet. Das Umfeld ist professioneller und brutaler geworden. In der betulichen Kleinstadt wird Geld gewaschen.

Manolo steht in der Stierkampfarena und streicht einen Balken. „Schmuggel hat es hier schon immer gegeben“, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Früher waren es Penicillin, Kaffee oder Motorenersatzteile. Dinge, die in Spanien Mangelware waren. Und dann hat das mit dem Tabak angefangen.“ Er legt den Pinsel weg und klappt in einer schattigen Ecke ein paar Stühlchen auf. Ein paar Jahre lang hat auch Manolo Kartons getragen. „Vor fünf, sechs Jahren konnte man mit dem Tabak gut Geld verdienen. Da gab es in Höchstzeiten 10.000 Peseten, wenn man einen Karton transportierte. Das verdienen andere nicht, selbst wenn sie den ganzen Tag arbeiten. Aber inzwischen sind zu viele Träger da, und manche von ihnen sind Junkies, die arbeiten fast umsonst. Gerade mal 1.000 Peseten kriegt man heute noch.“

Manolo findet, daß es sich nicht lohnt, für umgerechnet zwölf Mark die ganze Nacht am Strand herumzulungern und vielleicht noch von den Rurales abgegriffen zu werden. Strafbar macht man sich erst, wenn man mit mehr als zehn Kartons erwischt wird. Doch wenn man den Karton verliert, verdient man nichts.

Nacht in La Linea. Auf der Ausfallstraße hält ein junger Mann den Verkehr an. Vom Strand kommen junge Männer gerannt, auf ihren gebeugten Rücken tragen sie braune Kartons. Sie überqueren in aller Eile die freigehaltene Straße und verschwinden in den dunklen Gäßchen auf der anderen Seite. Im Hintergrund ist ein Lalü der Rurales zu hören. Mal wieder zu spät.

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