"Ein fatales politisches Signal"

■ Mit Claudia Nolte übernimmt eine besessene Abtreibungsgegnerin das Frauen- und Familienressort der Bundesregierung / Nicht mal unter den Frauen im Osten der Republik kann sie mit Rückhalt rechnen

Berlin (taz) – Am Anfang war das Neue Forum für Claudia Nolte, FDJ-Mitglied und katholische Studentin, noch eine Alternative. Bis die teuflischen Worte fielen, vom „neuen Sozialismus“. Da ist sie getürmt und hat sich mehr ihrer Mission gewidmet: dem Schutz des ungeborenen Lebens. Thomas Apel vom Neuen Forum Ilmenau erinnert sich an die jetzige Ministerin: „Wir saßen am Runden Tisch, um die dringendsten Probleme zu besprechen, und die Nolte wollte immer nur die Abtreibung abschaffen. Die Kurve zum Schutz des geborenen Lebens kriegt sie nicht. Von Sozial- und Jugendproblemen hat sie keine Ahnung.“

Ihrer Mission jedoch geht die religiöse Frau unbeirrt nach, in der Volkskammer wie im Bundestag, sehr zum Gefallen von Kanzler Kohl. Er hat die erzkonservative 28jährige gestern zu seiner Ministerin für Frauen und Familie gekürt. Eine katastrophale Fehlentscheidung, das finden selbst Frauen aus der eigenen Partei. Ein guter Statthalter Kohls sei sie, aber inhaltlich völlig inkompetent. Der Ärger ist berechtigt, denn konservativer geht's nimmer. Allein in drei Lebensschützervereinigungen ist Claudia Nolte aktiv. Sie ist Präsidiumsmitglied in der „Aktionsgemeinschaft Christ - Gesellschaft - Staat“, die mit der „Europäischen Ärzte-Aktion“ – radikalen Kämpfern für den Schutz ungeborenen Lebens – zusammenarbeitet. Als Mitglied von „ALfA“, der „Aktion Lebensrecht für alle“, demonstrierte sie 1992 vor dem Bundestag gegen die Fristenregelung und das Recht auf Abtreibung. Gemeinsam mit der CDU-Gruppe „Christdemokraten für das Leben“ unterstützte sie im Sommer 1993 den „Werner-Entwurf“, den extremsten Gesetzesvorschlag zur Verschärfung des Paragraphen 218, dem die eigene Partei nicht zustimmen wollte. Im Spiegel befand sie, Frauen, die abtreiben wollen, sollten als Wiedergutmachung ein Jahr im Krankenhaus arbeiten.

Auch von der Quotierung wollte die Frau bislang nichts wissen, wurde jetzt jedoch unter Druck gesetzt. Bei der gestrigen Amtseinführung sprach sie von mehr politischer Verantwortung für Frauen. Deshalb will sie Rahmenbedingungen schaffen, die zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen. Das Recht auf Kindergartenplätze etwa. Das klingt gut, doch bedeutet Schlechtes: Es heißt, daß Frauen ein Recht auf einen Halbtagesplatz für Kinder zwischen drei und elf Jahren haben sollen. Dahinter steht die alte Überzeugung der Familienministerin, daß das Wohl der Kinder in den ersten drei Lebensjahren durch „Gemeinschaftserziehung in hohem Maße gefährdet“ sei, denn sie führe zu „zum Teil irreparablen emotionalen Schädigungen“.

„Mit dieser Frau ist in den kommenden vier Jahren eine fortschrittliche Frauenpolitik gestorben“, kommentiert Christina Schenk, die für die PDS im Bundestag sitzt. Der Unabhängige Frauenverband (UFV) ist entsetzt: „Mit der Abtreibungsgegnerin hat sich Kohl für eine Frau entschieden, die über keinen Rückhalt bei der Mehrzahl ostdeutscher Frauen verfügt“, sagt Annette Maennel. „Ihre Berufung ist ein fatales politisches Signal, das hoffentlich die Dauer der Koalition nicht überleben wird.“ Michaela Schießl

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