: Ein Biß vom Mutterkuchen
■ Theater der eigenen Art: Elfride Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“
Am Abgrund kommt es nur auf die Haltung an. Frauen wissen das, haben jahrtausendelang geübt. Sie sind im Leben ein Nichts, nur wenn sie, sich selbst zerreißend, Leben gebären, am besten noch männliches, dann sind sie für Momente All und alles. Frau ist Natur, sie ist das Chaos, der Mann ist die Norm. Er beherrscht die Natur und sagt ihr, wo's langgeht. Amen.
Dr. Heidkliff (Detlev Greisner), Facharzt für Gynäkologie und Zahnkunde, ist ein richtiger Mann. Er ist im Lot, sein Material hat sich genau um die Mittelachse proportiniert. Sein „kleiner Handelsvertreter“ regt sich, wenn Krankenschwester Emily (Gabriele Möller-Lukasz), sein Hobby, naht: Ein Vollblutweib, funkelnd, üppig, doch irgendwie schon auf den Pfahl genommen. Zwei gespitzte Hölzer sind ihr ins Herz gerammt und treiben Emilys Eckzähne heraus. Sie ist, Ausgeburt der Unnatur, im Diesseits ganz jenseits lebendig. Doch ihr blutsaugendes Treiben beeinträchtigt Dr. Heidkliffs Triebe in keiner Weise: „Daß du Vampir bist, Emily, stört mich gar nicht, solange du das Haus nicht vernachlässigst.“
In die traute Idylle der Gynäkologenpraxis platzt eines Tages Benno Hundekoffer (Jean Pierre Cornu) samt Familie. Gattin Carmilla (Cornelia Kempers) ist zum vierten Male beseelt. Der Steuerberater baut seine Frau auf dem Untersuchungsstuhl und davor die Videokamera auf, die Entseelung zu dokumentieren. Er krümmt sich in Fürsorge vor Carmillas Schoß und verspricht, es jetzt nicht regnen zu lassen. „Daß du mir diesen Braten in die Röhre geschoben hast“, stöhnt sie dafür, ja, entschließt sich gar ganz unbrav zu sterben. Das Kind, „nicht vollständig, doch auch kein Mädchen“, ist zweifellos lebendig, doch die Hausfrau ist tot.
Der Sache müssen die Männer auf den Grund gehen. Im Forschungsdrang fliegen die Fleischfetzen, Carmilla wird nach und nach ausgeräumt. Für Momente wimmert Hundekoffer dem guten Inneren seiner Hausfrau nach und schnuckelt ein wenig am Gedärm. Doch schon hat er, als wollte er zurück, wieder Kopf und Hände in der fleischigen Fehlernalyse, sachlich kühl angeleitet vom werten Dr. Heidkliff: „Für die Natur wie für die Frau gilt: Verwalten, nicht vergewaltigen.“
Der Blutgeruch läßt freilich Emilys Zünglein zucken, ei, wen haben wir denn da? Die „schöne Frau“ bringt Emilys Blutleere in Wallung, im Busen beben Hunger und lesbische Liebe. Ihr Biß leitet Carmillas Metamorphose von der Säugerin zur Saugerin ein. Ganz glücklich ist die zu neuem Dasein geküßte indes nicht: „Zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig“ sucht sie immer wieder Halt bei der Hausfrau, die sie einst war. Ob sie Emilys Krägelchen auswaschen darf? Wenn nicht, wird sie sich, typisch Frau, in Krankheit flüchten. Artgemäß ist das nicht mehr, sie ist schließlich ein Vampir, und der hat Freude am Siechen und Verwesendlichen. Emily, die Dichterin, weist ihre Liebe ein in die tieferen Weihen, pardon, Gruben vampiristischen Unlebens, wobei Cramilla, ihr Inneres erahnend, immer mehr verschlampt.
„Sie wollen uns mitnehmen“, dünkt es Dr. Heidkliff, und Kampfgefährte Hundekoffer erkennt, daß Frauen nichts anderes sind als „Verschwenderinnen von Saatgut“. Dennoch möchte er nur einmal noch seinen Kopf in ihre weiße Schürze legen, aber Carmilla ist damit beschäftigt, ihre Kinder zu zersägen und im Kühlfach für schlechtere Zeiten zu sorgen. „Familien“ dringt ihr Gatte in sie , „ Familien sprechen sogar im Fernsehn.“ Zu spät, Camilla verbeißt sich in der Tochter.
„Uns auflehnen gegen das Weib ist ein schöpferisch Akten“, versichern sie sich ihrer Menschheitsaufgabe und kehren zurück zum Jäger und Astronauten. „Ich mache die Lanz, die Frau hat jetzt keinen Zweck mehr“, brüllt es aus einer Ritterlunge und „Ich möchte Krieg sein“ aus der andern. Die Gottessöhne knipsen ihre Bomben an, umsonst, sie können den toten Frauen nichts anhaben. Und doch geht eine merkwürdige Veränderung in diesen vor: Sie wachsen zusammen, werden eins, setzten sich in sich selbst fort. Ein gigantischer Landschaftsauswuchs auf der Müllhalde aus abgelegten Verkleidungen. Virulente Unbeweglicheit, berstende Fülle inmitten leerer Hüllen. Angesichts so vieler Irrtümern der Natur steigt Jesus vom Kreuz und wendet sich ab. Himmlische Hölle, hier kommen selbst Heilige (Sebastian Dominik), Hunde, Märtyrerrinnen und Kakerlaken noch auf ihre Kosten.
Sie beweinen das traurige Ende einer Geschichte, die zum Totlachen ist: Drei Stunden amüsantestes Theater, brillant geschrieben, glänzend inszeniert, leidenschaftlich gespielt. Freilich ist niemals nur Spiel, was die Jelinek konstruiert. Wie Dr. Heidkliff wühlt sie im Unterleib der Konventionen, reißt Wunden in Gehabtes, verdreht der Natürlichkeit langsam das Rückgrat und enthauptet den Patriarchen im Schoß. Sie seziert Rollen, läßt Klischées faulend abhängen, bis sie aufgedunsen platzen. Sie rotzt und trotzt und kocht ihr Süppchen; sie bringt das an sich Sprachlose zum reden, trennt im mahlenden Geplapper den Spreu von Frau. Mit den Waffen eines Sprachgynäkologen montiert sie Gesagtes, vernäht, oh nüchterne Sachlichkeit, Goebbels mit Adorno und Schopenhauer mit Jandl, der an anderer stelle sagte: „wo sein kein frauen / da sein kein stücken“. Wie wahr!
Dora Hartmann
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