NS-Lager entdeckt

■ Fast vollständig erhaltenes Fremdarbeiterlager in Treptow / Historiker fordern Gedenkstätte, Bezirk erwägt Teilabriß

In Niederschöneweide wurde ein ehemaliges Fremdarbeiterlager aus der NS-Zeit wiederentdeckt. Es ist das einzige von über 600 solcher Lager in Berlin, das im Ensemble nahezu vollständig erhalten ist. Der Bezirk Treptow plant jedoch den Teilabriß für den Neubau einer Grundschule. Historiker, Denkmalschützer und die Stiftung „Topographie des Terrors“ dagegen fordern den vollständigen Erhalt des Geländes sowie den Ausbau zur Gedenkstätte. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung plant, das Objekt unter Denkmalschutz zu stellen.

Das Ensemble von zwölf Steinbaracken und einem größeren Hauptgebäude zwischen Britzer und Köllnischer Straße in Niederschöneweide war 1942 errichtet worden. Es diente als Wohnstätte für Fremdarbeiter aus West- und Osteuropa, die in den umliegenden Rüstungsbetrieben eingesetzt wurden. Möglicherweise wurde ein Abschnitt des Gelände zumindest zeitweise als KZ-Außenlager genutzt.

Heute befinden sich in den ehemaligen Baracken kleine Gewerbebetriebe und öffentliche Einrichtungen. Auf die dunkle Vergangenheit des Geländes war man eher zufällig gestoßen: der Senat hatte im Frühjahr 1993 ein Sanierungsgutachten für den Stadtteil in Auftrag gegeben. Der beauftragten Planergemeinschaft fiel dabei das Barackenensemble auf und sie stellte eigene Recherchen an. Zu DDR-Zeiten war die ehemalige Funktion des Geländes verschwiegen worden.

Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen stellten die Stadtplaner jetzt auf einer öffentlichen Veranstaltung in Treptow vor. Urs Kohlbrenner von der Planergemeinschaft erklärte, die Entscheidung über die Zukunft des Lagers übersteige die Kompetenzen des Bezirks. Als letztes erhaltenes Fremdarbeiterlager in Berlin käme diesem Ort „landesweite, wenn nicht internationale Bedeutung“ zu. Mitarbeiter der Geschichtswerkstatt und der Stiftung „Topographie des Terrors“ forderten, in den Baracken eine ständige Ausstellung zum Thema Fremd- und Zwangsarbeiter in der NS- Zeit einzurichten. Dieser Teil der Geschichte sei noch nicht im Bewußtsein der Bevölkerung verankert. Außerdem biete sich die Errichtung einer internationalen Forschungsstätte zu dem Thema an, das bisher auch von der Historikerzunft vernachlässigt worden sei.

Allein in Berlin arbeiteten während des Krieges etwa acht Millionen sogenannte „Fremdarbeiter“. Während in den ersten Kriegsjahren hauptsächlich Arbeiter aus Westeuropa noch freiwillig nach Deutschland kamen, wurden ab 1942 junge Männer und Frauen im großen Maßstab per Zwangsbescheid nach Deutschland verfrachtet. Vor allem in der Rüstungsindustrie mußten sie deutsche Arbeiter ersetzen, die derweil an der Front verheizt wurden. Ohne den massiven Einsatz von Zwangsarbeitern aus Osteuropa und der Sowjetunion hätte der Krieg nicht bis 1945 weitergeführt werden können. Noäl Rademacher