Ein Führerschein als Lotteriegewinn Von Ralf Sotscheck

Als es knallte, war mir sofort klar, daß das keins der üblichen Schlaglöcher war: Ein Spaßvogel hatte nachts den Kanaldeckel mitten in der Dame Street in Dublins Innenstadt entfernt. Nach ein paar Metern neigte sich der Wagen etwas zur Seite, und Passanten deuteten mit besorgter Miene auf den Vorderreifen. Er hatte, ebenso wie die Felge, eine elliptische Form angenommen. Ein Reifenwechsel nachts um eins ist ein besonderes Vergnügen, wenn er von lallenden Ratschlägen der Pubheimkehrer begleitet wird.

Um LeserInnenbriefen vorzubeugen: Ich hatte keine andere Wahl, als mit dem Auto zu fahren, denn Bus und Bahn verkehren nur bis etwa halb zwölf. Danach fahren lediglich auf den Hauptstrecken noch ein paar Nachtbusse, aber die Fahrscheine muß man sich vorher besorgen, da die Fahrer zum Schutz vor Überfällen kein Geld bei sich tragen dürfen.

Gegen fehlende Kanaldeckel ist kein Kraut gewachsen, aber die – am Donnerstag zurückgetretene – Regierung hat vor einer Woche ihren „Nationalen Transportplan“ vorgestellt und darin dem allgemein schlechten Straßenzustand den Kampf angesagt. Demnächst sollen Irlands AutofahrerInnen auf spiegelglattem Asphalt über die Insel rasen können. Ein Psychologe vom Dubliner Trinity College will das verhindern. Ray Fuller glaubt, daß der Fahrunterricht völlig inadäquat ist, um AutofahrerInnen auf die Praxis vorzubereiten. Die Fahrschulen bieten keine Autobahn-, Nacht- und Schlechtwetterfahrten an, so daß erfolgreiche Prüflinge sich noch jahrelang unsicher durch den Verkehr schlagen. Es dauert laut Fuller etwa 15 Jahre, bis man von ihnen nichts mehr zu befürchten hat. „Je frischer der Führerschein, desto mehr Fußgänger fallen dem Besitzer zum Opfer – statistisch gesehen“, sagt Fuller.

Schlimmer noch: FahrlehrerInnen müsse keine gesonderte Prüfung ablegen. Wer heute den Führerscheintest besteht, kann morgen eine Fahrschule eröffnen – und manchmal ist dazu nicht einmal die Fahrprüfung notwendig. Als sich auf dem Schreibtisch der zuständigen Behörde in den siebziger Jahren die Anmeldungen zur Fahrprüfung stapelten und die dünne Personaldecke zum Reißen gespannt war, kamen die Beamten auf die geniale Idee, die Führerscheine einfach ohne Prüfung per Post zuzuschicken. Dadurch war der Schreibtisch für einen Neuanfang geräumt, und die EmpfängerInnen freuten sich über den unverhofften Lotteriegewinn.

So locker die Regeln beim Fahrunterricht, so entspannt sind sie offenbar auch bei der Ausbildung von AutomechanikerInnen. Als ich das eiförmige Rad zur Reparatur abgab, schüttelte der Experte seinen Kopf und sagte: „Der Reifen ist tadellos in Ordnung, aber die Felge ist hin.“ Eine neue sollte umgerechnet 500 Mark kosten. Als ich dankend ablehnte, fügte er hinzu: „Ich könnte versuchen, sie geradezuhämmern, aber meistens zerspringt sie dabei.“ Ich hatte nichts zu verlieren.

Nach ein paar Hammerschlägen sah die Felge aus wie ein Rugbyball, aber erstaunlicherweise entwich keine Luft mehr aus dem Reifen. „Na also“, meinte der Spezialist und nahm mir zehn Mark ab. Aber, fragte ich mißtrauisch, ist das auch sicher? „Bombensicher“, antwortete der Reifendoktor, „so lange die Luft drinbleibt.“