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Übermalte Avantgarde

Porträt des Künstlers zwischen allen Zeiten: Asger Jorn, Mitbegründer der Gruppe CoBrA und des Situationismus, Trinker, Trompeter, Theoretiker und Antikünstler, in einer Retrospektive des Stedelijk Museum in Amsterdam  ■ Von Ursula Gaßmann

Asger Jorn war 35 Jahre alt, als 1949 die erste Ausstellung der Künstlergruppe CoBrA im Amsterdamer Stedelijk Museum stattfand. Nun zeigt man ihn dort allein, als den wohl bekanntesten Vertreter und Begründer dieser frühen künstlerischen Nachkriegsbewegung. Nach Ausstellungen mit amerikanischer Gegenwartskunst hat das Stedelijk Museum zu einem Nomaden der europäischen Kunst zurückgefunden.

Der Däne Asger Jorn malt mit nordischer Sensibilität, und trotzdem ist seine Malerei eine dem Automatismus entlehnte Technik. Expressive Bilder, farbkräftige Arbeiten, fast abstrakt – aber auch immer wieder mit Einsprengseln aus der Realität versehen. Es gibt Gesichter, Fratzen und kleine oder große Tiere. Monster. Je länger man hinschaut, desto mehr scheinen es zu werden.

Bereits 1947 traf Jorn in Paris den holländischen Maler Constant. Zusammen mit dem Dichter und Theoretiker Christian Dotremont wollten sie zum damals noch gängigen Surrealismus, vor allem seinen auf Literatur- und Traumvisionen fußenden Experimenten, ein Gegengewicht mit Malerei und Farbe setzen. Ihr Gruppenansinnen wiederum formulierte Dotremont: CoBrA, das war „die dialektische Einheit von Traum und Tat“, die für Copenhagen (Asger Jorn), Brüssel (Corneille, Dotremont) und Amsterdam (Constant, Karel Appel) stand.

Den Versuch, die Eindrücke von Faschismus und Krieg zu verarbeiten, zeigen die Themen in Jorns Bildern direkt nach 1945: brennende Städte, sich aufbäumende Gestalten, Todesangst. Auch die Bilder der CoBrA-Zeit sind aufgewühlte Bilder. Hier und da lauert ein Grinsen zwischen den Linien zu Titeln wie „Die glückliche Bestie“, „Die heiße und die kalte Jungfrau“.

Während die Gruppe nur kurz von 1947 bis 1951 zusammenhielt, blieb Jorn ihrem Konzept verpflichtet. Während der Folgezeit verband sich in der Abstraktion seiner Bilder die experimentelle Malkunst jedoch zunehmend mit politischen Aktionen. In der Auseinandersetzung mit der atomaren Bedrohung zu Beginn des Kalten Krieges schuf er zusammen mit italienischen Freunden eine „industrielle Malerei“, die in zugespitzter Form die Bedingungen der Massenproduktion und der Zukunftstechnologien auf ästhetische Arbeitsweisen übersetzte. Bereits nach seiner künstlerischen Ausbildung bei Fernand Léger in Paris hatte er mit dänischen Künstlerkollegen noch während der deutschen Besatzung die Gruppe Helhesten, Höllengaul, gegründet, deren gleichnamige Zeitschrift schon in der Titelgestaltung mit „entarteter“ Malerei sympathisierte. Jorn schrieb dazu: „Wir wissen, daß der, der Geschichten über Verbrecher liest, etwas über sich selber liest ... Es gibt heute keine Zuschauer mehr und kann sie nicht geben.“

Trotzdem blieb die experimentelle Malerei ein Markenzeichen von Jorn. Eines seiner bedeutendsten Gemälde, „Stalingrad. Niemandsland. Irres Gelächter der Tapferkeit“, arbeitete er über Jahre wieder und wieder um. Zu diesem riesigen, drei mal fünf Meter großen Bild hatten ihn Erzählungen eines italienischen Bekannten inspiriert, der den Kessel um Stalingrad miterlebt hatte. Noch 1972, ein Jahr vor Jorns Tod, war das Bild erneut übermalt worden. In seiner letzten Fassung erweckt es nun zunächst den Eindruck einer großen weißen Fläche, aus der dann frühere Schichten des Gemalten hervordringen.

Vor allem aber waren Jorn und der ihm völlig gegensätzliche Guy Debord jene Gestalten, die dann 1957 die Situationistische Internationale ins Leben riefen, deren Aktionen und Pamphlete einen ähnlichen Ruf genießen wie ein Jahrzehnt später die Kommune 1. Die SI manifestierte, daß sie kein Interesse am Überfluß kultureller Gegenstände habe, sondern am „Überfluß von Situationen (des Lebens und der Dimension des Lebens)“. Dabei schien es nur vordergründig schwierig, ihre beiden Begründer zusammenzudenken: Asger Jorn, den leidenschaftlichen Maler, und Guy Debord, Antikünstler und Revolutionär. Die Position der Gruppe, das von ihr proklamierte Ende der Malerei, beantwortete Jorn mit der Gründung eine „Abteilung für die Nachbesserung alter Bilder“. Er kaufte Gemälde auf den Flohmärkten zusammen, die er mit heftigen Pinselstrichen übermalte. Es entstehen schnurrbärtige Mädchen im Kommunionskleid und Fratzen unterm Hütchen: „Die Avantgarde ergibt sich nicht.“

Im Gegensatz zur ausgegebenen Parole ist Jorns Zeit der Situationistischen Internationale eine der fruchtbarsten Perioden seiner Malerei. Er löst sich von alten Symbolen, vom festen Liniengefüge; seine Bilder scheinen ihre Zerstörung durchlaufen zu müssen, alte Formen werden zerrissen. Von der Leinwand als Experimentierfeld zeugen Bilder wie „Brief an meinen Vater“ oder „Dead Drunk Danes“. Den Kunstpreis der Guggenheim-Foundation, den er für das letztere erhalten sollte, lehnte er konsequent ab.

Am Ende war Asger Jorn in einer facettenreichen Persönlichkeit aufgegangen: Maler, Kunsttheoretiker, Antikünstler, Mitarbeiter und Begründer von Aufstandsbewegungen; Trompeter und Musiker, Autor, Trinker und Frauenliebhaber. Das alles hat das Stedelijk Museum zum Glück nicht zu einer theoretischen Veranstaltung gemacht, sondern zu einem gewaltigen Farben- und Formenreigen.

Asger Jorn 1914 bis 1973, bis 27. November im Stedelijk Museum, Amsterdam. Der Katalog kostet 59 Gulden. Bis zum 4.12. ist im Kupferstichkabinett des Dresdener Albertinums „Asger Jorn, das graphische Werk – die Schenkung Otto van de Loo“ zu sehen.

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