Sturheit lohnt sich doch

■ Kammerspiele: Max Eipp inszeniert „Pinocchio“ als aktuelles Märchen

Ein ungehobeltes Stück Holz wehrt sich gegen die Verarbeitung zu dem vierten Bein eines alten Tisches. Es schlägt seinem Meister einige Male gegen den Kopf, und bittet ihn, doch eine Puppe aus ihm zu schnitzen. Meister Gepetto läßt sich überreden, und so wird Pinocchio geboren. Einhundert Jahre alt ist die Geschichte der italienischen Holzpuppe. Erfunden hat sie seinerzeits Carlo Collodi – heute lebt Pinocchio als Comic, Film und im Theater. So auch bei den Kammerspielen, wo die Inszenierung von Max Eipp am Samstag nachmittag Premiere hatte.

Eipp hat mit findigen Ideen aus der alten Erzählung ein aktuelles Kindertheaterstück gemacht, das aber auch für Erwachsene sehenswert ist. Aus der Seite eines übergroßen im Hintergrund der Bühne stehenden Buches taucht der quicklebendige Pinocchio auf. Lebensfroh, wie er von Ilona Strauß gespielt wird, will er sogleich ausziehen, die Welt zu erobern. Zum Teufel mit den Bedenken des Vaters Gepetto und der alten, weisen Grille! Pinocchio versucht, sein Glück zu machen, wird reich beschenkt, dann betrogen, ausgeraubt und sogar ermordet. Kein Wunder, daß es einigen Kindern zu gruselig wird.

Die Darsteller bewegen sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum und auf einem Laufsteg, der auf Kopfhöhe quer über die Sitzreihen verläuft. Begleitet werden sie von Thomas Marey mit Musik und einer Klangkulisse, die ihr Treiben auf der Bühne auf eine anschauliche Weise verstärkt.

Das Stück präsentiert den Kindern gleichermaßen schlechte und schöne Seiten des Lebens. Fuchs und Katze, die Peter Lehmann gleichzeitig mit Hilfe einer Handpuppe spielt, pinkeln auf die Bühne (ihre Art die im Feld vergrabenen Goldmünzen zu begießen) und deftige Flüche geben dem ganzen eine gewisse Würze.

Am Ende wird dann alles gut. Eine wundersame Fee erweckt Pinocchio wieder zum Leben. Sein Erfahrungshunger hat sich gelohnt: Aus der unwissenden und naiven Holzpuppe ist ein aufgeweckter und verantwortungsbewußter Junge geworden. Und außerdem: Wäre Pinocchio ein braver Langweiler, hatten wir nicht eineinhalb Stunden Spaß mit ihm gehabt.

Martje Schulz