Kein Geld für letzte Wünsche

■ Todkrank und bettelarm / taz-Serie „Sterben in Bremen“, Teil 9

Austherapiert, Krebs im Endstadium – so hat das Krankenhaus den 34jährigen H. nach Hause entlassen. Der 1.84 Meter große Mann wiegt gerade noch 50 Kilo. Gehen kann er nicht mehr. „Und nur weil er einen unglaublichen Lebenswillen hatte, konnte er sich noch mit allergrößter Anstrengung in den Stand hochziehen oder einen Löffel zum Mund führen“, erzählt H.'s Sterbebegleiter von der Bremer Hospiz-Hilfe, Uwe Dietz. Die Angehörigen beantragen deshalb bei der Krankenversicherung Schwerstpflegegeld von 400 Mark, gedacht als „Entlohnung“ für pflegende Angehörige. Ein Arzt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen (MDK) kommt und begutachtet H. Er erkennt keine Schwerpflegebedürftigkeit. Vier Wochen später ist der Patient tot.

„Ein Skandal“, sagt Uwe Dietz, nicht nur ehrenamtlicher Sterbebegleiter, sondern auch Jurist, und zitiert aus dem Gutachten: „Bei freier Arm- und Beinbeweglichkeit besteht Muskelatrophie mit Minderung der groben Kraft. Der Gang ist langsam, frei, noch sicher.“ Waschen könne sich der Patient noch selbständig, ebenso Zähneputzen und Rasieren, nur die Mahlzeiten nicht immer allein zubereiten. „Der blanke Hohn“, sagt Dietz.

Bremer SterbebegleiterInnen kritisieren jedoch nicht nur den Medizinischen Dienst der Krankenversicherungen, sondern auch Sozialämter. Familie T. zum Beispiel: Um den hirntumorkranken Mann pflegen zu können, gibt die Frau ihren Beruf auf, sie löst den Bausparvertrag auf, pumpt die Oma an und stellt schließlich auch, als die Geldnot immer größer wird, einen Antrag auf Landespflegegeld (800 Mark) beim Sozialamt. Sechs Monate lang keine Antwort. Der Hospizhelfer, der jetzt erst die Familie kennenlernt, fragt sofort beim Sozialamt nach. Die hätten, so der Hospizhelfer, den Antrag samt dem ärztlichen Gutachten wieder unten in den Stapel gelegt, weil das Gutachten untauglich gewesen sei. „Der Patient hat eine Lebenserwartung von vielleicht einem Vierteljahr und Sie lassen den Antrag unbearbeitet“, pflaumt der Sterbebegleiter den Behördenmitarbeiter an. Wenige Wochen vor seinem Tod hat der Krebskranke endlich Geld erhalten.

„Wer schwerkrank ist, wird zum Sozialfall“, sagt Uwe Dietz. Meist bedeute die Diagnose Krebs zugleich den Ausstieg aus dem Berufsleben, denn Diagnosen und Therapien beanspruchen sehr viel Zeit. Dann zahlt der Arbeitgeber noch sechs Wochen lang den Lohn, anschließend die Krankenkasse für rund 1,5 Jahre das Krankengeld, knapp 80 Prozent der früheren Nettobezüge. Dann ist die Rentenversicherung dran. Doch wer der überwiegend jungen Aidskranken hat schon 10 und mehr Jahre gearbeitet? Und selbst mit zehn Jahren Berufstätigkeit kommt ein krebskranker Buchhändler gerade mal auf 800 Mark Rente. Hausfrauen und StudentInnen sind noch schlechter dran. Es bleibt nur die Sozialhilfe.

Sterbenskranke haben weniger Geld als zuvor – aber einen höheren Bedarf. Krebs-, Diabetes- und Aidskranken steht zwar vom Sozialamt ein monatliche Mehrbedarf von 175 Mark zu – „aber damit kommt niemand hin“, sagt Heiko Fahrenholz von der AIDS-Hilfe Bremen. Aidskranke sollten sich ja möglichst nicht von Aldi-Kost ernähren, sondern vollwertig, Obst und Gemüse außerdem möglichst ungespritzt. Dazu kommt der erhöhte Hygienebedarf: Naturkosmetik zum Beispiel, denn viele leiden unter Herpes und Pilzen. Außerdem brauchen Aidskranke viel mehr Bettwäsche – auch die, die noch kein Vollbild haben, leiden unter Nachtschweiß, müssen auch mal eine neue Matraze kaufen.

Ganz zu schweigen von den letzten Wünschen, den Herzenswünschen. Die lassen sich oft nur über Stiftungsgelder realisieren, Gelder zum Beispiel der Aids-Stiftungen. Die eine möchte unbedingt nochmal ein Wochenende an die Nordsee, ein anderer träumt von einem Ballon-Abschiedsflug über Bremen. Der Dritte möchte sich unbedingt noch ein paarmal mit seinem Freund aus der weitentfernten Stadt sprechen, beide können die Zugfahrt nicht zahlen. Sterbende wollen sozusagen ihren Acker bestellen, sagt Heiko Fahrenholz. cis

Über Spenden freuen sich neben vielen anderen gemeinnützigen Organsisationen in Bremen die AIDS-Hilfe Bremen e.V., Tel. 701313, Konto 1019009 bei der Sparkasse Bremen, BLZ 29050101, und die Bremer Hospiz-Hilfe, neue Tel.Nr. 324000, Konto 05025655 bei der Sparkasse Bremen, BLZ 29050101.

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